Rote Karte für das rechtsextreme Compact-Magazin

Das Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“ hat das Compact Magazin, das Zentralorgan der extremen Rechten, auf Unterlassung verklagt. Compact fungiert als Sprachrohr der verfassungsfeindlichen Pegida Bewegung und auch der Identitären Bewegung. In einem aktuellen Artikel hatte das Magazin behauptet, dass auch „gewaltbereite Gruppen“ am Aktionsnetzwerk teilnehmen. Daraufhin hatte das Aktionsnetzwerk die Compact GmbH zur Abgabe einer Unterlassungserklärung aufgefordert. Am Freitag, den 25. Juni 2021, 10 Uhr findet die Verhandlung vor dem Landgericht Leipzig statt.

„Wir weisen die Behauptung in aller Deutlichkeit zurück. Am Aktionsnetzwerk beteiligen sich demokratische Parteien sowie deren Jugendorganisationen, Gewerkschaften und Initiativen. Sie alle eint der Wille, Einstellungsmuster gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit nicht unkommentiert zu lassen und das mit gewaltfreien Aktionen auch deutlich zu machen. Das ist unser Grundkonsens“, so Irena Rudolph-Kokot für „Leipzig nimmt Platz“.

„Compact versucht Stimmung zu machen und stellt bewusst wahrheitswidrige Tatsachenbehauptungen in den Raum, die geeignet sind, das Ansehen meiner Mandanten zu schädigen. Vor diesem Hintergrund haben wir den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gestellt“, so Rechtsanwalt des Netzwerkes Jürgen Kasek.

Das auch von den Sicherheitsbehörden beobachtete Compact Magazin nutzt die Verhandlung nunmehr, um in den rechtsextremen Gruppen in Leipzig für Unterstützung zu trommeln. Die sollte die Zivilgesellschaft in Leipzig genau im Auge behalten.

Pressemitteilung: 24. Juni 2021

Am 20. Juli Identitäre stoppen!

Das Aktionsnetzwerk Leipzig nimmt Platz ruft zum energischen Protest in Halle/Saale gegen die Identitäre Bewegung auf. Am 20. Juli wird eine gemeinsamen Anreise vom Leipziger Hauptbahnhof (tief) ab 8:40 Uhr organisiert. Für die Zugfahrt können unentgeltlich Sachsentickets zur Verfügung gestellt werden.

Die sogenannte Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) wurde erst letzte Woche vom Bundesamt für Verfassungsschutz als „rechtsextrem“ eingestuft. Die männerbündlerische Gruppierung vertritt eine völkische Ideologie und versucht mit der Inszenierung von Stärke und Überlegenheit insbesondere in der jüngeren Bevölkerung Anklang zu finden. Dabei beschwört IBD den Aufstand gegen einen „Großen Austausch“, nach dem die weltweiten Fluchtbewegungen gezielt gesteuert würden. Neben solchen Verschwörungsthemen wird zugleich ein anachronistisches Weltbild der gesellschaftlichen Stellung der Frau verbreitet.

Verbindungen in die rechtsradikale bis in die rechtsterroristische Szene sind offenkundig. So spendete der rassistische Massenmörder von Christchurch (Attentat am 15.03.19) an den führenden Identitären Martin Sellner. Die IBD ist bundesweit mit dem Institut für Staatspolitik, Pegida oder dem Querfront-Magazin Compact bestens vernetzt und pflegt international Kontakte, z. B. in die US-amerikanische Alt-Right-Bewegung.

In Halle besitzt die IBD ihr erstes Vereinshaus, das von Aktivisten bewohnt wird. Hier kommt es trotz der behaupteten Gewaltfreiheit immer wieder zu Angriffen auf in deren Augen Linke.

Am 20. Juli ruft die IBD zum bundesweiten Aufmarsch in Halle/S. auf. Wie zuletzt am 1. Mai 2017 hat sich dagegen ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis um „Halle gegen Rechts“ zusammengeschlossen. Weitere Aufrufe zur Anreise kommen aus anderen sächsischen Städten, aus Berlin sowie aus Wien.

Weitere Informationen finden Sie unter: https://halle-gegen-rechts.de/
Facebook-Event für die Anreise: https://fb.com/events/364106444290544/

Marco Rietzschel erklärt für das Aktionsnetzwerk: „Die ‚Identitäre Bewegung‘ ist ein faschistischer Haufen und eine reale Bedrohung für die Gestaltung einer freiheitlichen und solidarischen Gesellschaft. Dass der Verfassungsschutz fünf Jahre benötigte, das zu erkennen, unterstreicht unsere Forderung nach Auflösung dieser Behörde. Das soll am kommenden Samstag aber nicht unser Thema sein. Wir rufen alle auf, in Halle die Demokratie zu verteidigen. Fahrt alle gemeinsam, um die Identitären zu stoppen!“

Pressemitteilung: Leipzig, den 14. Juli 2019

Offener Brief an die Leipziger Dok-Filmwochen

Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrte Frau Passanen,

wir wenden uns hinsichtlich des Films “Lord of the Toys” und den damit verbundenen Diskussionen an Sie. Wir halten an unserer Kritik fest. Diese bezieht sich auf einerseits den Film, der aus unserer Sicht in der vorgeblichen Intention der Filmemacher nicht deutlich wird und daher affirmativ gelesen werden kann, andererseits kritisieren wir die Akteure des Films selber.

Es geht uns dabei nicht darum, dass solche Themen verschwiegen oder nicht gezeigt werden sollen, aber eine Einordnung zu handelnden Personen und Hintergründen muss aus unserer Sicht zwingend stattfinden, wie die nicht nur von uns geäußerte Kritik deutlich zeigt.

Bereits im letzten Jahr haben wir ähnliche Kritik an dem Film “Montags in Dresden” geäußert. Hierbei kam ebenfalls ein Film auf die Leinwand, der Akteure unkommentiert begleitet und die Perspektive der Betroffenen vollständig ausblendet.

Beide Filme und die damit verbundene Kritik haben deutliche Wellen geschlagen. Nach unserem Dafürhalten war und ist es unverständlich warum gerade bei Filmen, bei denen mit Kritik gerechnet werden muss, im Vorfeld kein ausreichender Raum zur Diskussion geschaffen wird.

Als Aktionsnetzwerk wenden wir uns gegen jegliche Versuche, gewollt oder ungewollt, menschenfeindliche Einstellungen zu relativieren oder zu verbreiten. Aus unserer Sicht stellt dies eine Gefahr dar. Wir möchten unsere Kritik nutzen, um mit Ihnen gemeinsam ins Gespräch zu kommen, wie wir künftig gemeinsam Raum zu Diskussionen schaffen und damit zur Stärkung einer demokratischen Gesellschaft beitragen können.

Mit freundlichen Grüßen
Jürgen Kasek und Irena Rudolph Kokot
für das Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“

Pressemitteilung: Leipzig, den 4. November 2018


[update 14.11.2018] In einem wenige Tage später veröffentlichten twitter-Foto von Alexander “Malenki” Kleine posieren er selbst und zwei Protagonisten aus dem Film “Lord of The Toys”. Ein Screenshot wurde oben ersetzt.

„Lord of the Toys“ – eine Filmkritik

Gestern war im Cinestar Leipzig im Rahmen der Dokfilm Premiere des Films “Lord of the Toys“, der eine Gruppe von Youtubern um Max Herzberg begleitet. Das Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“ hatte im Vorfeld Kritik geäußert, da unter anderem Akteure der rechten Szene unreflektiert gezeigt werden. Diese Kritik bleibt auch nach dem Film dringend geboten, ist sogar nötiger denn je. Dabei geht es weniger um eine Stilkritik als die damit einhergehenden Gefahren.

Der Film selber zeigt in erschöpfender Länge das Leben der Akteure um Herzberg. Er begleitet sie beim Saufen, Feiern und Leben an die Wand fahren. Dabei ist der Film von entwaffnender Ehrlichkeit: er zeigt die Akteure in ihrer ganzen unreflektierten Offenheit in der „ein bisschen Hitler“, ebenso wie sexistische, homophobe und antisemitische Sprüche dazugehören.

Der Film steigt mit einer Szene psychischer Gewalt ein und zeigt, wie sich die Gruppe betrinkt und geht darin über, dass Herzberg einer anderen Person ein Deospray ins Gesicht hält mit den Worten: „Ich vergase Dich jetzt“.

Ähnliche antisemitische Codes wiederholen sich. In einer weiteren Szene sagt Herzberg zu seiner Freundin sinngemäß: „Wir sind doch allein, bis auf die Juden unter den Dielen“. Schon hier zeigt sich die Schwierigkeit. Das allein spricht eben nicht für sich, der ein Teil des vollen Kinosaals, in dem auch etliche Fans saßen, lachte an dieser Stelle.

Im späteren Verlauf wird auch Patrick Gamel S. gezeigt, der mutmaßlich am Überfall auf Leipzig Connewitz beteiligt war. In einer weiteren Szene taucht ein Vertreter des „Dritten Weges“ auf, im Division-T-Shirt. Dass es sich beim „Dritten Weg“ um eine militante neonazistische Partei handelt, die in direkter Kontinuität zum Nationalsozialismus steht, wird nicht deutlich.

Der Film hält halt „nur drauf“, eine Einordnung findet an keiner Stelle statt. Weder wird deutlich, dass Herzberg zum Teil massives Cybermobbing betreibt und rechtswidrig Personen ins Netz stellt, um sie seiner Crowd im übertragenen Sinne zum Fraß vorzuwerfen, noch dass Herzberg Unterstützung der verfassungsfeindlichen Identitären Bewegung erhält. Auch dass Herzberg immer wieder neonazistische Codes wie „Hitlerbilder und Hakenkreuz“ verwendet, blendet der Film aus.

So ist es nicht verwunderlich, dass Herzberg Verbindungen zu Alexander „Malenki“ Kleine (gewaltaffiner Kopf der Identitären Bewegung Leipzig) unterhält und diesen auch in seinen Beiträgen auf Instagram etwa featured oder in einem seiner jüngeren Videos auch ein Aufkleber der Identitären Bewegung in die Kamera hält.

Die Perspektive der Opfer von rassistischer, sexistischer Gewalt und Cybermobbing wird nicht eingenommen. Eine Erläuterung zu den handelnden Personen, die für die meisten unbekannt sein dürfen, fehlt ebenso.

Eine an das Filmdebakel anschließende Diskussion fand auch nicht wirklich statt. Der Moderator stellte zwei Fragen an die Macher des Films, die in entwaffnender Ehrlichkeit auf die Frage, warum sie diesen Film gemacht haben, antworteten, dass sie auf den Herzberg Kanal bei Youtube gestoßen seien und die Followerzahlen sahen. Die Filmemacher räumen also ein, einen Film für die Anhänger gemacht zu haben. Ebenso sieht die zielgruppenorientierte Werbung aus, wie etwa ein eigener unmoderierter Instagram Kanal, wo in den Kommentaren gewaltverherrlichende, sexistische Äußerungen die Regel sind.

Eine Zuschauerin durfte eine Frage stellen. Sie machte deutlich, dass der Film sie angeekelt habe aufgrund der immer wieder auftretenden sexistischen, rassistischen Beleidigungen. Herzberg selbst antwortete darauf, dass eine Bezeichnung wie „Schwuchtel“ ja nicht homophob sei, er entstamme einem anderen Milieu und schließlich sehe man ja auch, dass er am Ende eines Films einen anderen Mann küsst. Ähnlich sieht die Rechtfertigung für sexistische und antisemitische Sprüche aus. Diese Argumentation gleicht den vielfach wiederholten Aussagen: dass man ja nichts gegen Ausländer habe, da man ja selber einen türkischen Gemüsehändler oder arabischen Friseur oder ähnliches hätte und allein schon deswegen nicht rassistisch sein könne, um dann in das „aber“ der rassistischen Stereotype überzugehen. Und genau hier liegt das Problem. Ja, der Film ist entwaffnend ehrlich einerseits und affirmativ andererseits, je nach Lesart und Betrachtungsweise.

Schließlich meinte der Moderator abschließend, dass der Film ja für sich selbst sprechen würde und man ein aufgeklärtes Publikum habe, welches allein beurteilen könne. Aber ein Teil des Publikums, wie die Reaktionen der Fanbase zeigen, versteht den Film als Bestätigung. Diskriminierende Sprach- und Verhaltensweisen werden als etwas Normales präsentiert, die in den alltäglichen Sprachgebrauch übergehen. Dass Sprache dabei der Schlüssel zu Gewalt sein kann, wird ignoriert. Herzberg sagt im Film auch, dass es nur darum gehe, dass die Crowd/Fanbase bestimmte Äußerungen aufgreife und wiederhole. Mit der Wirkung müsse man sich nicht auseinandersetzen.

Es geht nicht um die Behauptung, dass Herzberg selber ein überzeugter Rechter ist. Dafür, und auch das macht der Film deutlich, fehlt die Reflektion völlig. Aber der Film trägt zur Verbreitung rechter Codes bei. So verwundert es nicht, dass die Fans von Herzberg sich im Kino über „Judenwitze“ amüsieren und anwesende und bekannte Nazis in einem unbeobachteten Moment äußern: „Das Wichtigste ist, dass er positiv dargestellt wird“.

Und das ist dann insgesamt heftig. Diskriminierende Äußerungen sind nicht zu entschuldigen, in dem man auf ein Milieu abstellt. Hier hätte es gezielter Einordnungen bedurft, gerade in einer Zeit, in der Antisemitismus und Rassismus auf dem Vormarsch sind und Übergriffe zunehmen. Die Filmemacher können sich am Ende darauf zurückziehen, dass man nur „drauf gehalten“ habe und jeder für sich selbst entscheiden müsse. Eine Rechtfertigung ist dies nicht.

Jürgen Kasek für das Aktionsnetzwerk

Ein kleines bisschen Nazi auf der Leipziger Dokfilmwoche

Das Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“ nimmt die Vorführung des Films „Lord of the Toys“ zum Anlass, um deutliche Kritik an der Dokfilmwoche zu äußern und zum Protest aufzurufen.

Der Film „Lord of the Toys“ begleitet den Youtuber Max Herzberg einen Sommer lang und will ein möglichst genaues Bild zeigen. Er wirft die Frage auf, ob Max ein gewaltverherrlichender Influencer mit rechten Tendenzen ist oder ein gewöhnlicher Heranwachsender. Tatsächlich postet Herzberg immer wieder neonazistische Parolen und steht in engem Kontakt zu den verfassungsfeindlichen Identitären und organisierten Neonazis im Umfeld der „Freien Kräfte“ Dresden. Dabei wird immer wieder ein klar menschenverachtendes Weltbild deutlich.

Auf die Frage, ob Herzberg das reflektiert, woran gezweifelt werden darf, oder nicht, kommt es nicht an. Der Film zeigt das Geschehen kontextlos, ohne Zusammenhänge herzustellen und Hintergründe aufzuzeigen.

„Nach dem Film “Montags in Dresden”, der viel Verständnis für PEGIDA aufbrachte und einen Teil der Protagonist*innen der extrem rechten Bewegung kritiklos zeigte, wird in Leipzig abermals ein Film gezeigt, der ohne jedwede kritische Einordnung extrem rechte Personen zu Wort kommen lässt“, kritisiert Irena Rudolph-Kokot für das Aktionsnetzwerk.

„Herzberg trägt zur Etablierung von neonazistischem Gedankengut bei und unterhält Beziehungen zur gewaltaffinen neonazistischen Szene. Es ist erstaunlich, dass wiederum ein Film kritiklos, ohne andere Sichtweisen darzustellen oder eine Einordnung vorzunehmen, Personen der rechten Szene zu Wort kommen lässt. Schleichend trägt damit auch die Dokfilmwoche Leipzig zur Etablierung von Einstellungsmustern der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit bei“, so Jürgen Kasek, Rechtsanwalt und Aktivist.

Das Aktionsnetzwerk geht aufgrund der Verflechtungen in die rechte Szene davon aus, dass mit dem Auftauchen von Identitären bei der Premiere zu rechnen ist und ruft daher zur kritischen Teilnahme, vor allem zur Premiere des Films, auf. Die Vorführung findet am 31. Oktober, 19:45 Uhr im CineStar statt. Wir wollen deutlich machen, dass auch nicht unter dem Vorwand eines Dokumentarfilms menschenfeindliche Propaganda unwidersprochen bleiben darf.

Pressemitteilung: Leipzig, 30. Oktober 2018

Stadtpolitische Tagung „Von der Großstadtfeindschaft zum Nazikiez? Anti-/urbane Kontexte des autoritären Populismus“

gemeinsame Pressemitteilung Netzwerk Leipzig – Stadt für alle || Aktionsnetzwerk Leipzig nimmt Platz

Das Forschungsprojekt PODESTA richtet am 2. und 3. November in der Leipziger Galerie KUB eine Tagung im Themenfeld des erstarkenden Populismus aus. Forschungsgegenstand sind die Strategien unterschiedlicher Akteure, die sich im Handlungsfeld Stadt mit der populistischen Herausforderung auseinandersetzen. Das universitäre Verbundprojekt PODESTA (Populismus|Demokratie|Stadt) untersucht seit 2017 Konflikte um Stadtentwicklung in Leipzig und Stuttgart. Das Netzwerk Leipzig – Stadt für alle beteiligt sich als Kooperationspartner im Forschungsprojekt.

Mit der Krise der liberalen Demokratie droht sich das Politikfeld Stadt für die Rechte zu öffnen. Autoritär-populistische Haltungen, Strömungen und Parteien gewinnen an Rückhalt. Die Rechten versuchen darüber hinaus, sich als urbane Bewegungen neu zu erfinden (Identitäre Bewegung) oder mit einer völkischen Sozialpolitik (Teile der AfD) die Löcher zu stopfen, die die neoliberale Stadtumstrukturierung hinterlassen hat.

Während der Tagung werden folgende Fragestellungen betrachtet: Welche Stadt-Land-Unterschiede lassen sich in Ausmaß und Ursache des Rechtspopulismus beobachten? Wie real ist die Gefahr einer Stadtpolitik von rechts? Welche Konflikte um eine demokratische Stadt für alle sind zu erwarten?

Tobias Bernet, für Leipzig – Stadt für alle an der Tagung beteiligt: „Wir wollen mit der Veranstaltung den weit verbreiteten Eindruck hinterfragen, dass der Rechtsruck v. a. aus den ländlichen Regionen kommt. Auch in Leipzig gibt es Stadtteile, in denen fast 30% der Wählerstimmen zur Bundestagswahl 2017 an die AfD gingen. Warum? Welche Rolle spielen etwa Verdrängungsdruck am Wohnungsmarkt oder räumliche Segregation?“

Anne Kämmerer, die für Leipzig nimmt Platz am Freitag ein Grußwort halten wird, ergänzt: „Als Netzwerk, das es sich zur Aufgabe gesetzt hat, dort Platz zu nehmen, wo Rechte versuchen, die Hegemonie zu beanspruchen, freuen wir uns sehr auf eine Konferenz zu diesem hoch aktuellen Thema. Wir hoffen auf neue Erkenntnisse und gute Diskussionen darüber, wie wirksame Strategien von Zivilgesellschaft und staatlichen Institutionen gegen eine zunehmend heterogen auftretende Rechte entwickelt und umgesetzt werden können.“

Galerie KUB:
Kantstraße 18
04275 Leipzig

Programm:
Freitag, 2. November 2018, 19:00–21:00 Uhr
Begrüßung: Anne Kämmerer (Aktionsnetzwerk Leipzig nimmt Platz)
Einleitung und Moderation: Prof. Dr. Tilman Reitz (Uni Jena)
Die Rache der Dörfer, Vortrag und Diskussion mit Prof. Dr. Wolfgang Kaschuba (HU Berlin)
Samstag, 3. November 2018, 10:00–16:30 Uhr
10:00 Populismus und Demokratie in der Stadt, Input-Vortrag und Diskussion mit Dr. Peter Bescherer, Dr. Robert Feustel (Uni Jena)
11:00 Rechtspopulistische Sozialpolitiken, Input-Vortrag und Diskussion mit Dr. Floris Biskamp (Uni Tübingen)
12:00 Mittagspause
13:00 Stadtstaaten oder Barbarei? Input-Vortrag und Diskussion mit Tobias Bernet (Netzwerk Leipzig – Stadt für alle, FU Berlin)
14:00 Ins rechtspopulistische Projekt eingreifen: Erfahrungen aus Haustürgesprächen, Input-Vortrag und Diskussion mit Prof. Dr. Katrin Reimer-Gordinskaya (HS Magdeburg-Stendal)
15:00 Kaffeepause
15:30 Abschlussdiskussion mit Veranstalter*innen und Gästen

Veranstaltet von:
Forschungsprojekt PODESTA
Unterstützt durch:
Netzwerk Leipzig – Stadt für alle
Aktionsnetzwerk Leipzig nimmt Platz
Gefördert durch:
Bundesministerium für Bildung und Forschung
Friedrich-Schiller-Universität Jena
Eberhard-Karls-Universität Tübingen

Konferenz am 7. April: Wir müssen uns entscheiden. Für eine solidarische Zukunft!

Seit 27 Jahren haben wir in Sachsen eine CDU-Regierung – um genauer zu sein – die konservativste im Bundesgebiet. Gleichzeitig war Sachsen auch das erste Bundesland, in dem die AfD in den Landtag einziehen konnte. Bei der Bundestagswahl 2017 erreichte die AfD in Sachsen bundesweit die höchsten Ergebnisse.

Wir wollen uns einerseits mit der Frage beschäftigen, was die CDU seit 1991 dazu beigetragen hat, dass eine Partei wie die AfD und die Meinungen, für die sie steht, wieder mehrheitstauglich sind. Wir wollen darüber sprechen, weshalb gerade in Sachsen der Diskurs immer weiter nach rechts rückt.

Gleichzeitig wollen wir zur Diskussion stellen, wie sich couragierte Ehrenamtliche und Aktivist*innen vernetzen können, um eine linke Alternative zu entwickeln.

Programm

10:00 Begrüßung / Informationen zum Ablauf
10:15 Input
11:45 Kaffeepause
12:00 Workshops Phase 1
13:30 Kurzvorstellung der Ergebnisse 1
14:00 Mittagspause
14:45 Workshops Phase 2
15:45 Kurzvorstellung der Ergebnisse 2
16:15 Abschlussplenum
Ende ca. 17 Uhr

Ort

Werk 2 – Kulturfabrik, Kochstraße 132, 04277 Leipzig Karte

Workshops

A1 Rechte im Betrieb

Neurechte starteten bei der Compact-Konferenz 2017 in Leipzig eine Kampagne, die sich “Werde Betriebsrat” nennt, mit Vertreter*innen u. a. der Identitären Bewegung (IB), des rechten Institutes für Staatspolitik (IfS) und der AfD.

Auch wenn bei den gerade noch laufenden Betriebsratswahlen diese Listen kaum erfolgreich waren, lohnt es sich zu diskutieren, welche Strategien wir als Zivilgesellschaft gemeinsam mit den DGB-Gewerkschaften und Arbeitnehmervertreter*innen haben, um dem Ansinnen zu begegnen, rechte politische Ideen in die Betriebe zu tragen.

B1 Rechte im ländlichen Raum

Wir wollen mit ReferentInnen aus Bautzen und Görlitz und euch über „das Hinterland“ reden, uns vor allem aber mit Interessierten über Erfahrungen aus oder Sichtweisen auf diesen ländlichen Raum austauschen.

Wir wollen darüber sprechen, ob der Osten wirklich so dunkel ist, ob die Zivilgesellschaft durch den Rechtsruck aus einer Abwehrhaltung heraus agiert oder ob es nicht auch dort eine engagierte und couragierte Zivilgesellschaft gibt, die mit einem progressiven Anspruch vor allem die Lebensumstände in der Region aber auch die Welt verändern will.

C1 Stammtischkämpfer*innen

Wir alle kennen das: In der Diskussion mit dem Arbeitskolleg*innen, dem Gespräch mit der Tante oder beim Grillen im Sportverein fallen Sprüche, die uns die Sprache verschlagen. Später ärgern wir uns, denken, da hätten wir gerne den Mund aufgemacht, widersprochen, die rechten Parolen nicht einfach so stehen lassen. Hier wollen wir ansetzen und Menschen in die Lage versetzen, die Schrecksekunde zu überwinden, Position zu beziehen und deutlich zu machen: Das nehmen wir nicht länger hin! Der Stammtisch ist überall: An der Kasse des Bio-Supermarktes, auf dem Spielplatz, in der Bahn oder in der Uni-Lerngruppe. Aber: Wir sind auch überall, und wir können durch Widerspruch, deutliches Positionieren und engagierte Diskussionen ein Zeichen setzen, die Stimmung in unserem Umfeld beeinflussen und unentschlossenen Menschen ein Beispiel geben.

In dem Seminar werden wir Strategien aufzeigen, die uns ermöglichen, den Parolen der AfD und ihrer Anhänger*innen entgegen zu halten. Wir werden gängige rechte Positionen untersuchen und üben Hemmschwellen abzubauen, damit wir in Zukunft öfter und gezielter kontern können.

D1 Kampagnenwerkstatt

Was waren und sind die realen Kräfteverhältnisse sowie ideologischen Leitbilder, die das Handeln von Regierungsakteuren bestimmen? Welche Veränderungen vollziehen sich in der Regierungspraxis? Wie können soziale Bewegungen Regierungshandeln beeinflussen? Steht dieser Einfluss in einem positiven Verhältnis zu linken Regierungsprojekten?

Wie stellt sich die Hegemonie-Frage heute? In der gegenwärtigen „multiplen“ Krisenkonstellation (der Ökonomie, der sozial-ökologischen Krise, der Demokratie…) werden in der Linken zahlreiche Konzepte und Ideen für konkrete Reformpolitiken in Richtung einer solidarischen und sozial-ökologischen Transformation diskutiert. Dennoch kann von einem ausstrahlungsfähigen Hegemonie-Projekt bislang kaum die Rede sein.

A2 Informationen und Austausch zum 1. Mai in Chemnitz

Am 1. Mai 2018 mobilisiert die neonazistische Kleinstpartei „Der III. Weg“ nach Chemnitz zu einer Kundgebung unter dem Titel „Kapitalismus zerschlagen! Für Familie, Heimat, Tradition!“ Auch wenn die Partei kaum Mitglieder hat, ist sie besonders in Sachsen aktiv und bekommt Zuspruch für scheinbar soziale Projekte wie Kleiderkammern in Mittel- und Kleinstädten. Das Aktionsnetzwerk wird die Proteste der Chemnitzer Kampagne „Perspektive Richtungswechsel“ aktiv unterstützen und bietet diesen Workshop zur Vorbereitung an.

B2 Praxiseinheit Demonstrationsgeschehen

Wichtige Fragen während der Proteste sind: Wie verhalte ich mich auf Demonstrationen und insbesondere Aktionen des zivilen Ungehorsams richtig und sicher? Was sollte beachtet werden, wenn wir gewaltfrei und solidarisch rechten Aufmärschen begegnen wollen?

Wir wollen nicht, dass Nazis oder Hooligans, Verschwörungstheoriker*innen, Rassist*innen – Rechte aller Couleur – den öffentlichen Raum für sich vereinnahmen. Wir werden uns dem immer deutlich widersetzen. Dazu benötigt es auch theoretischer und praktischer Wissensvermittlung, der hier Raum gegeben wird.

C2 Neufassung „Leipziger Erklärung“

Die Leipziger Erklärung 2015 ist zu Recht auf Legida fokussiert. Das Aktionsnetzwerk hat eine Neufassung vorbereitet, die im Workshop zur Diskussion gestellt wird. Breite und kritische Beteiligung ist erwünscht.

D2 Offener Austausch

Welche Themen interessieren euch in Leipzig und in Sachsen noch? Bei welchen Themen / an welchen Orten ist ein besonderer Einsatz für eine solidarische Zukunft nötig, die wir nicht im Blick haben?

Aktuell gibt es Verschärfungen in der Strafprozessordnung, deren Kritik das Aktionsnetzwerk bei den Protesten gegen die Innenminister(!)konferenz 2017 unterstützt hatte. Das identitäre Haus in Halle sowie die Verstrickungen in die AfD oder zur Ein-Prozent-Kampagne von Kubitschek sind in aller Munde – aber wie sieht es mit dem an CasaPound angelehnten „Haus Montag“ in Pirna aus? Wie können wir uns besser schützen auf Demos, bei denen Fotos von hunderten (Telefon-)Kameras gemacht werden? Gibt es aktuelle Planungen der Nazis, die in Leipzig gerade ruhig erscheinen, das aber beileibe nicht sind? Das können Fragen sein, die für künftige antirassistische, antisexistische, antifaschistische Aktionen relevant sind. – Wir sind noch viel gespannter auf die Themen, die ihr mitbringt.

Konferenz auf Facebook

Link zur Veranstaltung: https://www.facebook.com/events/154253321938667/

Auftaktpodium am 6. April 2018

6. April, Galerie KUB: Auftaktpodium zur Konferenz gegen den Rechtsruck

Zum Auftakt der Konferenz »Wir müssen uns entscheiden: für eine solidarische Zukunft« wollen wir mit Vertreter*innen der Stadtgesellschaft diskutieren, was ihnen eine solidarische Gesellschaft bedeutet und wo und wie sie dazu Auseinandersetzungen führen.

6. April 2018, 19 Uhr ⯈ Galerie KUB (Kantstraße 18 | Karte)

Moderiert von der Journalistin Sarah Ulrich haben wir für das Podium gewinnen können:

Am Samstag, den 7. April findet die Konferenz dann ab 10 Uhr im WERK2-Kulturfabrik mit Inputs, Workshops und Diskussionen ihre Fortsetzung.


Wir müssen uns entscheiden: für eine solidarische Zukunft!

Wenn 2019 ein neuer Landtag in Sachsen gewählt wird, könnte am Ende eine schwarz-blaue Koalition die Regierung übernehmen. Die sächsische AfD, jenes Sammelbecken für Rassismus, Frauenfeindlichkeit, GIDA-Fans, Identitäre, alte und neue Nazis, könnte laut aktuellen Umfragen sogar stärkste Kraft werden.

Was droht uns also?

Mit der AfD in der Regierung würde Sachsen noch weiter nach rechts rücken: gleichgültig ob wir von einem seit Kurzem hier lebenden Syrer, einer alleinerziehenden Krankenpflegerin, einer muslimischen Studentin oder einem Erwerbslosen sprechen – sie alle können von der AfD nichts Gutes erwarten.

Aber so muss es nicht kommen. So beunruhigend die Umfragen auch sein mögen – wir, die kein Interesse an einer solchen rassistischen und unsozialen Regierung haben, wir sind viele. Um das drohende Unheil aber wirklich abzuwenden, müssen wir gemeinsam aktiv werden – im Alltag, auf der Straße und da, wo wir aktiv sind.

Fragt sich nur: wie? Worauf sollen wir uns fokussieren? Wie gehen wir mit dem Versuch der AfD um, in den Betrieben Fuß zu fassen? Wie drängen wir die Rechten im ländlichen Raum zurück? Wie können wir die Zivilgesellschaft dazu bewegen, ihre Zurückhaltung aufzugeben und sich aktiv für demokratische Vielfalt einzusetzen? Brauchen wir eine gemeinsame Kampagne und wenn ja, welche? Und was mache ich eigentlich, wenn mein Onkel oder die Kollegin auch mit den braun-blauen Parolen um die Ecke kommen?

Es gibt viele offene Fragen und viel zu tun. Deshalb laden wir alle, die für Solidarität statt Hetze stehen, ein, mit uns gemeinsam über die richtige Strategie gegen Schwarz-Blau zu diskutieren und die nächsten Schritte zu planen.

Mit der AfD in der Regierung zurück in dunkle Kapitel der Geschichte oder gemeinsam für eine solidarische Zukunft – wir müssen uns entscheiden!

„Montags in Dresden“ – eine etwas andere Filmkritik

Was fällt uns zu Pegida ein? Drei Jahre Hass und Hetze gegen Geflüchtete, Andersdenkende und die Presse; Aufrufe zur Gewalt; Angriffe auf Journalist*innen, Politiker*innen und Protestierende; Verschwörungstheorien; Diffamierung von Menschen; eine schweigende Stadtgesellschaft; wenige aufrechte und mutige Menschen, die immer wieder den Widerspruch organisiert haben – auf jeden Fall wenig Gutes.

Nun wurde ein Dokumentarfilm mit dem Titel “Montags in Dresden” für den Dokfilmpreis des Goethe-Instituts und für den Filmpreis “Leipziger Ring” nominiert. In dem Film begleitet Sabine Michel drei Pegida-Anhänger*innen über ein Jahr lang und versucht sie als Privatpersonen zu zeigen. Darunter auch René Jahn, ehemaliges Mitglied im Pegida-Organisationsteam. Ralph Eue begründet als Leiter der Auswahlkommission die Nominierung so: „Die Frage, wie man mit einem Sachverhalt umgeht, der einem nicht gefällt, sei sehr interessant.“ Auch wie man sich mit ausgewiesenen AfD-Wählern auseinandersetzt und wie man da in Konfrontation geht, sei für ihn spannend. Es sei ein sehr heikles Spiel, das sich durch den gesamten Film durchzieht. Diese Gratwanderung wäre für ihn spürbar, den ganzen Film hindurch. Sich in Begegnungen hinein zu begeben, die nicht unbedingt angenehm sind, die man aber als notwendig erachtet und mitteilen will.

Mit solcher Ankündigung wurde der Film nun im Rahmen der DOK-Leipzig am 2. November auf dem Leipziger Hauptbahnhof in der Osthalle aufgeführt. Manche erinnern sich vielleicht, dass aus Dresden von den Protesten zum ersten „Pegida-Jahrestag“ rückkehrende Menschen genau an diesem Ort von Leipziger Nazis angegriffen und mit einem Messer bedroht wurden. Wir berichteten zum Ereignis und auch zum Gerichtsprozess gegen den Haupttäter, dessen Berufungsprozess am 8. November vor dem Landgericht Leipzig stattfinden wird. Die Aufführung und das anschließende Feiern der Pegida-Protagonist*innen an diesem Ort war ein Schlag ins Gesicht für die Betroffenen.

Doch zurück zur Aufführung und zum Film! Die Osthalle war trotz der Aufrufe von Pegida und Legida vorwiegend mit Antifaschist*innen gefüllt. Die Mehrheit ertrug tapfer den Film, in der Hoffnung, dass irgendwann einmal im Film, ja vielleicht zum Schluss, eine Aufklärung der Sinnhaftigkeit folgen würde. Hat sich vielleicht ein Protagonist oder eine Protagonistin gar weiterentwickelt undoder reflektiert gar die eigenen Handlungen? Oder klärt eine logische Herleitung die eigene Einstellung auf? Vielleicht gibt der Beitrag noch einen Blick auf die Folgen von Pegida oder die Betroffenen frei? Nein, nichts davon war auch nur ansatzweise zu erkennen. Es gab keine wirkliche inhaltliche Auseinandersetzung mit der ausgrenzenden Propaganda, sodass die Nominierung absolut nicht nachvollziehbar ist.

Pegida war die Keimzelle für Heidenau, Freital, Meißen, Bautzen, Clausnitz… Pegida hat unzählige Anschläge auf Geflüchtetenunterkünfte, Büros von Initiativen, Politiker*innen und weitere Menschen zu verantworten. Pegida steht für Menschenverachtung und Ausgrenzung. Nichts davon hat der Film reflektiert. Stattdessen wird versucht zu zeigen, dass es sich um „ganz normale Menschen“ handelt, mit alltäglichen Sorgen, Nöten, Problemen. Um zu zeigen, dass wir alle Menschen sind, braucht es keinen Dokumentarfilm dergestalt. Eine solche thematische Darbietung benötigten eher die Pegida-Anhänger*innen über die von Ihnen so gehassten „Eliten“, „die Lügenpresse“, „Schreikinder“, “den Islam“ und andere auserkorene Zielgruppen bzw. Projektionsebenen.

Der Film präsentiert ungewollt auch die Verflechtungen der neuen Rechten. So zeigt er einen Protagonisten gemeinsam mit Götz Kubitschek, einem Vordenker der Neuen Rechten. Götz Kubitschek ist über den Verein „Ein Prozent für unser Land“ verbunden mit dem Verleger des Compact-Magazins Jürgen Elsässer. Außerdem hegt er beste Beziehungen zur vom Verfassungsschutz beobachteten Identitären Bewegung, einer derer Köpfe, Martin Sellner, sogar eine Zeit lang bei ihm wohnte. Hier hätte der Film tiefer gehen können und müssen, um das Publikum über die Verflechtungen der neuen Rechten aufzuklären. Der Film vermochte dies nicht. Aber das Leipziger Bündnis „No Compact“ tut dies gerade im Hinblick auf die am 25. November hier stattfindende „Compact-Konferenz“ sehr engagiert.

Vom Film abgesehen, war die nachfolgende Feier der Protagonist*innen, welche auf die Bühne geholt wurden, schon fast bizarr. Die abschließende Fragerunde war das einzig erhellende Teil des Abends. So berichtete eine junge Frau mit türkischen Wurzeln unter Tränen, wie sehr sie der Film verletzt hat. Es wurde die Perspektive der Betroffenen mehrfach angemahnt, und die Regisseurin konnte sehr viele kritische Worte hören. Die Antworten von ihr auf all die Fragen und Kritik waren schon im Vorfeld der Aufführung zu lesen: „Wichtig und kostbar sei doch,“ so Michel, „dass sie und ihre Protagonisten es geschafft haben, obwohl man unterschiedlichen Lagern angehört, über die ganze Drehzeit und auch danach miteinander im Gespräch zu bleiben.“ Sie erklärte während der Diskussion, dass sie die Meinung von Pegida nicht teile, betonte aber, dass dort Fragen diskutiert werden „die uns alle bewegen“ würden. Dazu nannte sie die Globalisierung, Geflüchtete, die Kluft zwischen „arm“ und „reich“. Außerdem griff sie das Thema der benachteiligten Ostdeutschen auf, indem sie die Frage „Wie viele Führungskräfte kommen aus Ostdeutschland?“ aufwarf. Auch die konstruierte „Mitte der Gesellschaft“ wurde von ihr bemüht, in welche man doch die Ränder integrieren müsse. Dazu solle man in den Dialog treten. Diese Aussagen stehen für sich.

Ansonsten bleibt ein flaues Gefühl im Magen und die Überzeugung, dass Rassismus keine Bühne bekommen darf, dass das Reden da aufhört, wo das Recht von Menschen auf ein gleichberechtigtes Leben in unserer Gesellschaft infrage gestellt und offen zu entsprechendem Handeln aufgerufen wird.

Die Diskussionen beim DOK Filmfestival dürften dazu beigetragen haben, dass „Montags in Dresden“ keinen der Preise erhielt – und der Plan von Pegida und Co., die Deutungshoheit an diesem Abend zu erhalten, scheiterte grandios. Dafür danke, Antifa!

Redebeitrag von Irena Rudolph-Kokot zum Fachtag „Nächstenliebe – Polizei – Gesellschaft“

Fachtag der ökumenischen Arbeitsgemeinschaft „Kirche für Demokratie und Menschenrechte“ am 5. April 2017 in Leipzig


Sehr geehrte Damen und Herren,

nach dem Eingangsreferat von Norbert Kueß, der uns eine spannende Betrachtung zivilgesell­schaftlichen Protestes aus polizeiwissenschaftlicher Perspektive geboten hat, möchte ich als Vertreterin eines großen Leipziger Netzwerkes zivilgesellschaftlicher Akteur*innen zum Protest­geschehen der letzten Jahre sprechen.

Das Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“

Das Aktionsnetzwerk hatte sich 2009 gegründet, um einem Aufmarsch der „Nationalen Sozialis­ten“ am 17.10.2009 in Leipzig mit Aktionen des zivilen Ungehorsams zu begegnen. Diese Demonstration und eine folgende im Oktober gelang es zu verhindern. Danach gab es in Leipzig lange Zeit nur wenige (stationäre) Kundgebungen, häufig von so genannten „Bürger­initiativen“ wie die gegen den Moschee-Bau in Gohlis. Auch gegen die letzten „echten“ Nazidemos 2013 in Schönefeld (NPD) und 2014 in Lindenau (JN) wurde im Aktionsnetzwerk Proteste organisiert.

Gemeinsam mit zahlreichen Partner*innen aus zivilgesellschaftlichen und antifaschistischen Zusammenhängen – dazu gehören Gruppen, Initiativen, Gewerkschaften, Parteien, Jugend­organisationen, engagierte Einzelpersonen und auch Kirchenvertreter*innen – mobilisierte das Aktionsnetzwerk gegen viele weitere Nazidemonstrationen in Leipzig und anderen Städten. „Leipzig nimmt Platz“ kooperiert mit ähnlichen überregionalen Strukturen, z. B. dem „Aktionsnetzwerk Jena“, dem „Bündnis für Zivilcourage Halle“ oder „Dresden Nazifrei“.

Die Leipziger Erklärung 2015 und erste Repressionen des Protests

Im Januar 2015 wurde ein besonderes und öffentlich wirksames Handeln in Leipzig für das Aktionsnetzwerk akut notwendig. Ein Ableger der *Gida-Bewegung, LEGIDA, wollte in Leipzig Fuß fassen. In kürzester Zeit konnte die Leipziger Zivilgesellschaft aktiviert werden. In diesem Zusammenhang wurde die Leipziger Erklärung 2015 verabschiedet, die bis heute ihre Gültigkeit hat. Darin heißt es:

  1. Wir sind entschlossen, LEGIDA-Proteste und andere rassistische und Neonaziaufmärsche in Leipzig zu verhindern.
  2. Neonazistische Einstellungen, Rassismus, Islamfeindlichkeit und andere Ideologien der Ungleichwertigkeit haben in Leipzig keinen Platz.
  3. Wir sind solidarisch mit allen, die diese Ziele mit uns teilen.
  4. Wir wollen das in gemeinsamen und gewaltfreien Aktionen erreichen.
  5. Wir werden Rassist_innen, Neonazis und andere LEGIDAs mit Widersetz-Aktionen zeigen, dass wir sie weder in Leipzig noch anderswo dulden.

Unterzeichnet wurde diese Erklärung innerhalb nur einer Woche von 2183 Menschen. Zu den Erstunterzeichnenden gehörten unter anderen der Künstler Michael Fischer-Art, Ines Kuche: Geschäftsführerin ver.di Leipzig/Nordsachsen, Bernd Kruppa: 1. Bevollmächtigter IGM Leipzig/Vorsitzender Courage Verein, der Sänger Sebastian Krumbiegel, Franz Kimmerle vom Erich-Zeigner-Haus e.V., Monika Lazar: MdB B90/Grüne, Daniela Kolbe: MdB SPD, Constanze Krehl: MdEP SPD, Juliane Nagel und Marco Böhme: MdL Linke, Dirk Panter und Holger Mann: MdL SPD, Jürgen Kasek: Landesvorstandssprecher B90/Grüne Sachsen, und viele mehr.

Die erste Legida-Gegendemo hatte am 12. Januar 2015 mit ca. 30.000 Menschen auf der Straße gezeigt, dass der *Gida Ableger hier nicht willkommen ist. Damals brachte das selbst ernannte „Volk“ maximal 5.000 Menschen auf die Beine.

Schon an diesem ersten erfolgreichen Protesttag begann die lange Reihe der staatlichen Repres­sionen gegen friedliche Aktionen des zivilen Ungehorsams. Damals gab es eine Sitzblockade, deren Beteiligte über ein Jahr erst mit Strafandrohungen, dann Bußgeldern schikaniert wurden. In den meisten Fällen wurden die Verfahren schließlich eingestellt.

Um weiterhin viele Leipziger*innen zum Protest gegen das aufkommende Unheil zu mobilisieren, veranstaltete das Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“ am 19. Januar 2015 eine Presse­konferenz, an der u. a. die Bundestagsabgeordnete der Grünen Monika Lazar und die Landtags­abgeordnete der Linken Juliane Nagel teilnahmen. Sie riefen die Leipzigerinnen und Leipziger zum Protest auf. Für beide folgte ein juristisches Nachspiel. Ihnen wurde vorgeworfen, zu Verhinderungsblockaden aufgerufen zu haben.

Aus Solidarität stellten über hundert Menschen Selbstanzeige nach § 111 StGB bei der Staats­anwaltschaft Leipzig, auch ich persönlich. Denn wir alle hatten die Leipziger Erklärung unterzeichnet und nichts anderes als in der Erklärung geschrieben steht, haben die beiden Politiker*innen verlautbart. Die Anzeigen wurden wegen Mangels an öffentlichem Interesse nicht verfolgt, das Verfahren gegen Frau Lazar wegen geringer Schuld eingestellt, wobei sie heute noch auf die Antwort der Staatsanwaltschaft wartet, was denn ihre geringe Schuld gewesen sei. Auch Frau Nagels Verfahren fand nach zwei Jahren ein Ende, allerdings gegen Zahlung von 3.500€. Was darüber hinaus geblieben ist – ein tiefes Misstrauen vieler Menschen in die sächsische Justiz und die bestätigte Gewissheit, in Sachsen gilt „derjenige, der auf den Schmutz hinweist, für viel gefährlicher als der, der den Schmutz macht.“ (Tucholsky)

Einordnung von Legida in die Neue Rechte

In der Wahrnehmung von außen war das Oranisationsteam von Legida überwiegend von Personen aus dem Hooliganmillieu, aus der subkulturellen Neonaziszene und dem Umfeld der „Montags­mahnwachen“ getragen. Der Mann, der laut Boulevardzeitungen Pegida nach Leipzig holte, war jedoch der jetzige AfD-Landtagsabgeordnete Hans-Thomas Tillschneider. Er wird ebenso wie beispielsweise der Verleger Götz Kubitschek oder Jürgen Elsässer einer sogenannten „Neuen Rechten“ zugeordnet, die sich zumindest verbal vom historischen Nationalsozialismus abgrenzt und einen biologistischen Rassismus nicht öffentlich legitimiert, sich dafür aber positiv auf die Vordenker*innen des NS bezieht und mit ihrem „Ethnopluralismus“ auf die ideologischen Grundlagen von „Blut und Boden“ zurückgreift.

Neben Tillschneider erhielt Legida auch von Kubitschek und Elsässer durch Reden und Werbung über deren ausgebaute Netzwerke Unterstützung. Öffentlich wurde teilweise über finanzielle Unterstützung durch Elsässer spekuliert. Im Sommer 2015 beteiligte sich außerdem die, ebenfalls als „neurechts“ bezeichnete Identitäre Bewegung mit einem eigenen Block und einem Rede­beitrag durch den sächsischen Anführer Tony Gerber aus Zwickau, der Kontakte zum NSU-Umfeld unterhielt. Das rechte Projekt „Ein Prozent für unser Land“ um den Burschenschaftler Philipp Stein, Götz Kubitschek und Jürgen Elsässer spendete an den damaligen Legida-Anführer Markus Johnke.

Entwicklung des Protestgeschehens
oder wie in Leipzig die *Gida-Bewegung scheiterte

Anders als in Dresden riss der Protest über zwei Jahre nie ab und brachte regelmäßig wesentlich mehr Menschen auf die Straße, als Legida es vermochte.

Im Jahr 2015 gab es alleine in Leipzig an 36 Terminen rassistische Aufmärsche. Diesen hat das Aktionsnetzwerk 80 angemeldete Veranstaltungen entgegengesetzt und so breiten Protest ermöglicht. Das Ziel, die Aufmärsche zu verhindern, wurde nur partiell erreicht. Es gab verschie­dentlich Absagen der Rassist*innen aufgrund von taktisch klugen Anmeldungen der Proteste und etliche Widersetzaktionen, welche zu Routenverkürzungen führten. Die Zahl der Teilnehmer*innen gegen die rassistischen und nationalistischen Aufmärsche hatte sich auch minimiert, weil die Proteste sehr oft von starken Repressionen begleitet waren.

Neben dem Protestgeschehen initiierte das Aktionsnetzwerk im Zuge des Anstiegs der zu uns kommenden Menschen im September 2015 erstmalig das Brückenfest, an dem Alt- und Neu Leipziger*innen sich kennenlernen und zusammen feiern konnten. Dies war aber auch ein Ort politischer Forderungen nach einem humanen Umgang mit den zu uns geflohenen Menschen, einer Erhöhung und Verstetigung der Förderung antirassistischer und in der Geflüchtetenhilfe ehrenamtlich aktiven Initiativen. Das Fest war ein großer Erfolg und wurde 2016 mit erweitertem Fokus auf Antirassismus erneut durchgeführt.

Mit dem Aufkommen diverser Legida-Abspaltungen wie OfD (Offensive für Deutschland) oder GIDA-Regional verstärkte das Aktionsnetzwerk sein Engagement außerhalb von Leipzig. Es gab Beteiligungen an Protesten in Dresden, Freital, Plauen, Halle, Heidenau, Bautzen und weiteren Städten. Die dort gesammelten verschiedenartigen Erfahrungen mit den Behörden vor Ort könnten separat bewertet werden. Dies würde aber den Rahmen hier sprengen.

Nachdem das selbst ernannte, aber stark geschrumpfte „Volk“ die Auftrittsversuche 2016 in Leipzig reduzieren musste, organisierte das Aktionsnetzwerk – neben der Aufrechterhaltung des Protestes – das zweite „Brüc­kenfest“ und schob im Frühjahr 2016 die Kampagne „Druck! Machen. Für ein anderes Sachsen“ an. Daneben wurden zahlreiche inhaltliche Veranstaltungen, wie ein Gespräch mit dem Kapitän der „Cap Anamur“, Stefan Schmidt, zum Thema Seenotrettung sowie etliche Mobilisierungs­veranstaltungen und praktische Demotrainings organisiert.

Nach dem zweiten Jahrestag und einem kraftvollen Protest gegen die Ewiggestrigen, gab Legida am 9. Januar 2017 auf. Das war der Verdienst der Menschen, die unter Einsatz von Freizeit, Nerven und ihrer persönlichen Sicherheit den stetigen Protest ermöglicht haben, immer wieder den Dialog mit den Behörden gesucht haben, um zu verdeutlichen, dass dieses Engagement wichtig ist, und natürlich der vielen Menschen die bei Wind und Wetter sich auf der Straße dem aufkeimenden Hass, Nationalismus und Rassismus widersetzt haben.

Umgang der Behörden mit zivilgesellschaftlichem Protest

Nach jeder Anmeldung einer Kundgebung oder Demonstration erfolgte regelmäßig ein Koope­rationsgespräch, zu dem die Versammlungsbehörde der Stadt Leipzig die Polizei und die Anmel­denden einlud. An den meisten Gesprächen der vergangen zwei Jahre habe ich teilgenommen.

In der Anfangszeit der Proteste im Jahre 2015 gestaltete sich aus meiner Sicht die Kooperation schwierig. Ich erlebte die Vertreter*innen der Polizei sehr oft mit einer vorgefertigten Meinung, dass die Demonstrationen von „Leipzig nimmt Platz“ prinzipiell das eigentliche Problem für die Sicherheit und Ordnung darstellen würden. Unseren potenziellen Teilnehmer*innen wurde immer wieder unterstellt, Straftaten begehen zu wollen. Dabei wurden Würfe von Steinen und friedliche Sitzblockaden in einem Atemzug genannt. Man unterstellte sehr oft im Voraus einen unfriedlichen Verlauf und stützte sich dabei, auch als Versammlungsbehörde, auf völlig abstruse Einschätzungen des Landesamtes für Verfassungsschutz Sachsen.

Im ersten Protestjahr entstand der Eindruck, dass man unsere Anmeldungen, hier sind alle demokratischen Proteste eingeschlossen, immer wieder stärker beschränkte als die von Legida. Bestes Beispiel war die Eingitterung der Stolpersteinmahnwache. Damals wurden völlig ignorant gegenüber gesellschaftlicher Erinnerungskultur Absperrgitter auf die Stolpersteine gestellt und der Zugang zu der Mahnwache vielen Menschen versagt. Diese Zuwegungsversagung ist sachsenweit eine gern gelebte Praxis im Demonstrationsgeschehen.

Dagegen wurde der westliche Leipziger Ring regelmäßig den Rassist*innen und Hetzer*innen überlassen, welche vorbei an Stolpersteinen und dem Synagogendenkmal marschieren durften. Dies war für viele Bürger*innen ein unerträglicher Zustand und führte zu einem Gespräch zivil­gesellschaftlicher Akteur*innen mit dem Oberbürgermeister und dem Polizeipräsidenten Anfang 2016.

Aus meiner persönlichen Sicht hat sich seitdem die Kommunikation wesentlich verbessert. Vor allem die Versammlungsbehörde hat immer wieder neu abgewogen, welche Versammlungslagen möglich sind und uns schließlich auch den westlichen Ring für die Demonstrationen dem Aktions­netzwerk überlassen.

Auch die Kommunikation mit den Vertretern der Polizei hat sich verbessert. Ich führe das auch auf die Verstetigung der an den Gesprächen teilnehmenden Beamt*innen zurück. Eine grundlegende Änderung der Herangehensweise, vor allem der potenziellen „Störerbetrachtung“ konnte ich leider nicht erkennen. Die Entspannung war hauptsächlich auf die eingespielten Lagen und betei­ligten Personen zurückzuführen.

Beim Versammlungsgeschehen selbst war Anfang 2015 ein höchst gewaltvolles Vorgehen der Polizei gegen Demonstrant*innen zu beobachten. Wenn dies zum Ziel hatte viele Menschen zu verschrecken, so hat dies gefruchtet.

So ereigneten sich im Januar 2015 mehrere aus unserer Sicht nicht nachvollziehbare Polizei­einsätze. Am 30. Januar 2015 kam ich auch in den Genuss, ein Polizei-Tonfa im Rücken spüren zu dürfen in einer Situation, wo genau dieser Einsatz nicht angezeigt war. Neben dem Abdrängen von Protest und dem rabiaten Räumen von Sitzblockaden wurden Menschen systematisch nicht zu den angemeldeten Kundgebungen durchgelassen. Besonders krass wirkten die Geschehnisse des 20. April 2015, als die Polizei mehrfach völlig unverhältnismäßig gegen versuchte Sitzblockaden vorging.

Darüber hinaus sind vielfache Weigerungen der Polizei dokumentiert, gewalttätige Teilnehmende bei Legida in die Schranken zu weisen. Allen Anwesenden dürften die Bilder vom 21. Januar 2015 im Kopf sein, als an der Spitze des Aufmarsches eine regelrechte Jagd auf Journalist*innen begann und die Polizei nicht einschritt. Viele weitere Vorfälle sind bei der Leipziger Zeitung dokumen­tiert.

Auch im Jahre 2016 gingen die Repressionen weiter. Am 2. Mai 2016 fand am Leipziger Innenstadt­ring nicht nur lautstarker Protest gegen das neofaschistische Legida-Bündnis statt, sondern eine dreistellige Zahl von Demonstrierenden beschloss, das „Platznehmen“ wortwörtlich zu nehmen. Sie setzten sich auf die angekündigte Legida-Route. Im Anschluss wurden die Personalien von 163 Personen aufgenommen, denen fälschlicherweise ein Verstoß gegen das Versammlungsgesetz vorgeworfen wird.

Weder wurde Legidas Versammlungsrecht eingeschränkt, noch wurden durch die Teilnehmenden Versammlungsauflagen verletzt. Einige von ihnen berichten, es sei ihnen gar nicht mehr möglich gewesen, noch vor der dritten Räumungsaufforderung die Blockade zu verlassen. Danach bekamen die Betroffenen Bußgeldbescheide in überdurchschnittlicher Höhe und willkürliche Strafbefehle gegen Einzelpersonen. Insgesamt fordert die Stadt Leipzig über 50.000 € ein. Es sind nicht nur die Kosten für die Einzelpersonen, die diesen Fall so bitter machen, vielmehr ist es ein fatales Zeichen gegen all diejenigen die gegen die regelmäßigen Nazi-Aufmärsche protestiert und mit ihrem lang anhaltenden Engagement Legida zum aufgeben gebracht haben. Während die Stadt Leipzig und das Land Sachsen Zivilcourage einfordern und anpreisen, werden diejenigen, die sie zeigen, mit Strafbefehlen belegt. Sich dagegen zu wehren, ist schwierig und mühselig

Was bedeuten für uns Widersetzaktionen?

Ziviler Ungehorsam ist kein bockiges Querstellen, sondern ein ganz bewusster und durchdachter Regelübertritt. Hintergrund ist, dass der und die Einzelne in einem Gemeinwesen den eigenen Verstand und das Gewissen als letzte Entscheidungsinstanz behält. Wenn in Politik oder Gesell­schaft generell etwas falsch läuft, muss den Verursachenden des Problems dies auch gezeigt oder Missstände sogar direkt verhindert werden. Unter Umständen wird dabei ein Gesetz oder eine Vorschrift übertreten. Mit voller Absicht und reinem Gewissen. Einfach ungehorsam.

Den zivilen Charakter bekommt der Ungehorsam dadurch, dass es um das Engagement von Bürger*innen geht, die im Sinne demokratischer Selbstorganisation das Gemeinwesen, in dem sie leben, mitgestalten. Definieren kann man Zivilen Ungehorsam also als einen bewussten, begrenz­ten Regelverstoß.

Es gibt für den Zivilen Ungehorsam keine rechtliche Grundlage und er wird damit als nicht legal eingestuft, basiert aber auf Gewissensentscheidungen, die die Handlung moralisch rechtfertigen – also legitim machen. Die Handlungen sind auf das Allgemeinwohl gerichtet und rechtliche Konse­quenzen werden akzeptiert. Außerdem sollen zuvor legale Möglichkeiten der Einflussnahme ausgeschöpft worden sein.

Das Aktionsnetzwerk richtet sein Handeln an einer Definition des Soziologen Habermas1 aus:

»Ziviler Ungehorsam ist ein moralisch begründeter Protest, dem nicht nur private Glaubensüberzeugungen oder Eigeninteressen zugrunde liegen dürfen; er ist ein öffentlicher Akt, der in der Regel angekündigt ist und von der Polizei in seinem Ablauf kalkuliert werden kann; er schließt die vorsätzliche Verletzung einzelner Rechtsnormen ein, ohne den Gehorsam gegenüber der Rechtsordnung im Ganzen zu affizieren; er verlangt die Bereitschaft, für die rechtlichen Folgen der Normverletzung einzustehen; die Regelverletzung, in der sich ziviler Ungehorsam äußert, hat ausschließlich symbolischen Charakter – daraus ergibt sich schon die Begrenzung auf gewaltfreie Mittel des Protests.«

Ziviler Ungehorsam kann sicherlich nicht bereits vorhandene rechte Gesinnungen abändern. Sitz­blockaden können aber verhindern, dass rechtsradikale Aufmärsche – egal unter welchem Etikett – ungestört verlaufen, manchmal sogar, dass sie überhaupt stattfinden. Es kann verhindert werden, dass die Parolen unwidersprochen in die Öffentlichkeit getragen werden. Die rechte Szene kann außerdem nicht nach innen gestärkt aus den Aufmärschen hervorgehen, bestenfalls wird sie sogar zermürbt.

Von zivilgesellschaftlichen Sitzblockaden gehen starke Zeichen aus:

  • dass sich viele Büger*innen mit verschiedensten weltanschaulichen Hintergründen für eine aktive, offene und solidarische Gesellschaft einsetzen,
  • dass diese Menschen mit verantwortlicher Entschlossenheit vorangehen und nicht warten, dass gesellschaftliche Auseinandersetzungen z. B. an Gerichte delegiert werden,
  • dass rechte Aufmärsche Weck- und Warnrufe verlangen, weil sie nicht bloße Unmuts­äußerungen sind, sondern auf Eroberung der Macht in der Gesellschaft zielen.

Eine Sitzblockade kann somit beides sein: eine symbolische Aktionsform, die starke Signale an die Öffentlichkeit und Politik sendet, aber auch ein Mittel, mit dem konkret und direkt Unrecht verhindert oder zumindest eingedämmt wird.

Wir werben darum:

  1. friedliche Sitzblockaden als „demonstrative“ Blockaden, also Versammlungen zu werten,
  2. in Abwägung der Verhältnismäßigkeit eher das Mittel der Routenverlegung zu wählen und nicht der Räumung,
  3. die Teilnehmer*innen der demonstrativen Sitzblockaden nicht zu kriminalisieren und auf umfassende Identitätsfeststellungen zu verzichten,
  4. auf demonstratives Abfilmen des Protestes – häufig als Übersichtsaufnahme deklariert – zu verzichten,
  5. die Höhe der Bußgelder zu überdenken – in Leipzig wurden jetzt 300 bis 400 Euro erhoben, für Castor-Blockaden gibt es regelmäßig 50 Euro.

Warum ich persönlich mich antirassistisch und antifaschistisch engagiere

Ich wurde als Tochter einer Russin und eines Deutschen in Moskau geboren und verbrachte auch viele Jahre meines Lebens in Russland. Wie nahezu jede russische Familie, hatte auch meine Opfer des Nationalsozialismus zu beklagen. Meine russische Großmutter erzählte mir von ihren, als vermeintliche Partisanen, gehängten Geschwistern. Das Leben in der Sowjetunion war stark geprägt von der Erinnerung an den traumatischen Zweiten Weltkrieg. Für mich ist Antifaschismus sozusagen eine Selbstverständlichkeit.

Als politisch interessierter junger Mensch erlebte ich die rassistischen und nationalistischen Entwicklungen im wiedervereinigten Deutschland in den1990er Jahren. Diese Zeit prägte mich zusätzlich stark.

Als dann 2014 Pegida sich zu einer Bewegung entwickelte, hatte ich starke Befürchtungen, dass sich die 1990-er wiederholen oder es noch schlimmere Entwicklungen geben könnten. Da konnte ich nicht untätig bleiben. Den Umfang meines Engagements hatte ich so nicht geplant und hätte mir im Januar 2015 jemand gesagt, dass ich bis März 2017 an die 150 Versammlungen aktiv gestalten werde, hätte ich es vermutlich nicht geglaubt.

Aus meiner Sicht gibt es keine Alternative zu zivilgesellschaftlichem Engagement gegen rechts. Wann immer nötig: natürlich auch mit Mitteln des zivilen Ungehorsams.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Irena Rudolph-Kokot


1) Jürgen Habermas: Ziviler Ungehorsam – Testfall für den demokratischen Rechtsstaat. Wider den autoritären Legalismus in der Bundesrepublik, in: Peter Glotz (Hrsg.): Ziviler Ungehorsam im Rechtsstaat, Frankfurt/Main: Suhrkamp 1983, S. 35.


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