zum Umgang mit Einschränkungen und Corona Demos
Nach wie vor vertritt das Aktionsnetzwerk die Meinung, dass es zwingend notwendig ist, die aktuellen Maßnahmen und Einschränkungen der grundgesetzlich garantierten Freiheiten zu diskutieren und einer rechtsstaatlichen Prüfung zu unterziehen. Dies war der Grund, warum wir einen Normenkontrollantrag vor dem Oberverwaltungsgericht angestrengt haben, und dies ist auch der Grund, warum wir die Klage vor dem Bundesverfassungsgericht weiterführen.
Wir halten unsere Kritik aufrecht, dass die Regelungen innerhalb der sächsischen Corona-Schutz-Verordnung, insbesondere die Versammlungsfreiheit betreffend, in ihrer Systematik grundgesetzwidrig und daher nicht mit der Verfassung zu vereinbaren sind. Das Versammlungsrecht als unmittelbare Grundlage einer pluralistischen Demokratie darf niemals zum Gnadenrecht des Staates werden, auch in Zeiten der Krise nicht. Die Gefahrenabwehr zu Unterbrechung von Infektionsketten ist nicht durch ein pauschales Demonstrationsverbot zu lösen, sondern entlang der grundgesetzlichen Vorgaben über Auflagen, die durch die Schrankenregelung des Grundgesetzes im Sinne des Versammlungsgesetzes gedeckt und daher verhältnismäßig sein müssen.
Der Staat, dessen Macht durch die Bürger*innen legitimiert ist, hat eine Fürsorgepflicht, die spätestens dort endet, wo die Privatsphäre des Einzelnen beginnt. Der Kernbereich der individuellen Lebensführung muss staatlichen Handelns entzogen bleiben, selbst wenn damit das Infektionsrisiko oder andere Gefahren steigen. Dieser Gedanke ist die Grundlage einer freiheitlichen Demokratie, in der die Menschen selbstständig Entscheidungen treffen müssen.
Dabei endet die Freiheit des Einzelnen da, wo die Ausübung dieser Freiheit, die Freiheit anderer gefährdet oder einschränkt. Während einer Pandemie geht es nicht um die Freiheit der Einzelnen, die möglicherweise nicht gefährdet sind – es geht darum, ob die Ausübung dieser Freiheit das Leben anderer gefährdet. Es ist daher weder solidarisch noch rebellisch, Kontaktbeschränkungen zu ignorieren oder so zu tun, als gehe uns die Lage nichts an. Wie ernst oder wie gefährlich eine Pandemie ist, weiß man am Ende und nicht am Anfang. Doch schon jetzt ist zu befürchten, dass insbesondere die Armen stärker betroffen sind als Reiche. Die Ignoranz einiger kann am Ende anderen das Leben kosten.
Die Bewertung, die wir vornehmen, treffen wir nach rechtsstaatlichen Gesichtspunkten mit Verweis auf die Grundrechte. Wir erneuern unsere Forderungen, dass wir mehr denn je einen kritischen Austausch über die Krise, über die Einschränkungen und das weiter so brauchen.
Die derzeitigen Lockerungen geschehen hinsichtlich der Wiederaufnahme der wirtschaftlichen Leistungen. Eine Gesellschaft, die in der Debatte um die Notbetreuung von Kindern zuerst auf die Verwertung des Humankapitals der Eltern blickt, die in ihrem Reichtum Abstandsregelungen möglich machen kann, während in den Slums des globalen Südens, Armut, Not und Krankheit Menschen töten und der Westen sich in nationalen Egoismen übt, ist moralisch insolvent und bietet keine Grundlage für eine solidarische Zukunft.
Wir benötigen eine Revision des gegenwärtigen Zustandes und die Beantwortung der Frage, ob es wirklich das primäre Ziel sein kann, in einen Zustand der Ausbeutung und Ignoranz zurückzukehren, in eine Gesellschaft, die auf Konkurrenzdruck und Abwertung aufgebaut ist.
Die Zunahme der Zustimmung zu autoritären Einstellungen bestärkt uns in unserer Kritik und Sorge, ebenso wie der Umstand, dass zunehmend Verschwörungsideologien und rechte Gruppen versuchen, den Protest zu okkupieren und damit die notwendige Debatte kontaminieren.
Einmal mehr wird versucht, unter dem Deckmantel „Nicht rechts, nicht links“ die Debatte zu vereinnahmen. Wir unterstellen, dass nicht alle Menschen, die sich diesen Bewegungen anschließen, rechts sind oder zu Verschwörungstheoretiker*innen zählen. Wir glauben, dass es auch viele Menschen und Personen gibt, denen es tatsächlich um die Sache geht und nicht um die Verbreitung von „alternativen“, schnell bei YouTube zusammengeklaubten, Fakten.
Aber auf Veranstaltungen, auf denen antisemitische Chiffren beklatscht werden, die NS-Zeit mit dem Beginn der Corona Krise gleichgesetzt und damit Nationalsozialismus relativiert wird, ist kein Raum für eine kritische Debatte.
Eine Debatte gibt es im Rahmen der Menschenrechte, gibt es im Rahmen davon, dass alle Menschen gleich sind, dass die soziale und kulturelle Teilhabe aller Menschen das Ziel ist. Wer diesen Rahmen verlässt, kann keinen Anspruch erheben, gehört zu werden. Es ist geradezu absurd, dass auf Demonstrationen Menschen sich auf das Grundgesetz berufen, die gleichzeitig dessen Geltung anzweifeln.
Der Aufruf zum kritisch sein, umfasst auch die Teilnahme an solchen Demonstrationen und Versammlungen, auf denen antisemitischen Codizes, Nationalismus oder Ungleichheit das Wort gesprochen wird.
Die oft gehörte Ausrede, das sei doch auch Meinungsfreiheit, akzeptieren wir nicht. Meinungsfreiheit, ist ein Abwehrrecht gegen ein Handeln des Staates. Meinungsfreiheit ist nicht widerspruchslos. Wer den Rahmen der Menschenrechte und des Grundgesetzes verlässt, kann sich gegenüber dem Staat auf seine Meinungsfreiheit berufen, weil das Grundgesetz auch seinen Gegner*innen die gleichen Rechte einräumt, der hat aber keinen Anspruch darauf, gehört zu werden.
Und deswegen sagen wir klar und deutlich: Wir stehen für die Grund- und Menschenrechte. Wir werden unsere Stimmen wann immer erheben, wenn der Staat in diese Rechte eingreift oder Gruppen und Personen diese Rechte in Abrede stellen. Aber wir sind nicht an der Seite derjenigen, die sich auf das Grundgesetz berufen und es nicht schaffen, sich von Verschwörungsmythen oder deutlichen Anzeichen Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit abzugrenzen.
Für die Freiheit, für das Leben – kritisch bleiben!