ABGESAGT! Im Osten nichts Neues – Protest in Engelsdorf am 28. Februar 2022

UPDATE 27.02.2022

Unser Protest wird aufgrund der aktuellen Ereignisse in der Ukraine nicht stattfinden.

Weitere Infos unter: https://platznehmen.de/2022/02/28/nie-wieder-krieg-ukraine/

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Engelsdorf ist in den letzten Wochen zum Hotspot der Demonstrationen der Coronaleugner*innen-Szene in Leipzig geworden. Engelsdorf kann dabei stellvertretend für eine Reihe von kleineren Orten in der Peripherie von Leipzig genannt werden, wo montäglich, die sich selbst als „Spaziergänger“ bezeichneten Demonstrant*innen, zusammenfinden, um ein gemeinsames „Zeichen gegen die da oben“ zu setzen.

Zwischen Bewegung und Gegenbewegung.

Dass vor allen Dingen kleinere Orte große Aufmerksamkeit erhalten, hat Gründe. In kleineren Orten sind bereits wenige Demonstrant*innen eine Nachricht und damit Grundlage von Bildern, die insbesondere über rechtsextreme Telegramkanäle, wie denen von den „Freien Sachsen“ geteilt werden, zusammen mit frei erfundenen Zahlen, die eine vorrevolutionäre Stimmung heraufbeschwören wollen. Die Meldungen der „Freien Sachsen“ werden dabei auch von der Bewegung Leipzig geteilt, die betont nichts mit rechts zu tun zu haben.

Dem oder der einzelnen wird suggeriert, Teil von etwas ganz Großem zu sein. Die Sehnsucht nach Selbstwirksamkeit und das eigene Leben mit Bedeutung, mit Sinn aufzuladen, kreuzt sich mit dem Wunsch, Teil einer kollektiven Identität zu werden. Endlich wieder „Volk“ sein. „Gemeinsam“ mit anderen für das große Ziel. Was genau dieses Ziel eigentlich ist, wird nicht beantwortet. Denn jede Auseinandersetzung mit einem Ziel, jede Diskussion über genaue Lösungen, würde in mühevollen Diskussionsprozessen zu einer Diversifizierung führen und damit dem zentralen Ziel, eine Masse auf die Straße zu bekommen, entgegenstehen. Man ist eben einfach „dagegen“. Wogegen genau, bleibt im Ungefähren. Ein wenig gegen die Impfpflicht, ein bisschen gegen die Regierung, sowieso gegen Corona, gegen die Maßnahmen, irgendwie doch gegen alles.

Das Amalgam der Bewegung ist die Abgrenzung nach außen. Zu denen, die im altbekannten Sound noch jeder „Erweckungsbewegung“, noch „schlafen“ oder „ahnungslos“ sind und einfach mit den Begriffen wie „Systemlinge“, „Pharmalobbyisten“ und diffamiert werden. Jede/r der nicht für die „Spaziergänger*innen“ ist, ist damit Gegner und entweder „Systemlink“, Kommunist, Antifa oder ähnliches. Es geht nicht um die inhaltliche Auseinandersetzung, es geht um alles, was immer dieses „alles“ auch ist. Durch die Beliebigkeit schafft an allerdings auch eine hohe Anschlussfähigkeit an alle Unzufriedenen und sich selbst als benachteiligt fühlenden in der Gesellschaft.

Aber gerade in Leipzig zeigen sich vermehrt Risse. Nachdem die Demonstrationen am Völkerschlachtdenkmal schließlich in einer erwartbaren Eskalation mündeten, machen Schuldvorwürfe die Runde. Das organisierte Auftreten von Gegenprotest, welcher die selbst ernannten „Spaziergänger“ immer wieder mit den Vorwürfen konfrontiert, führt ebenso zu einer Gereiztheit innerhalb der Gruppen, wie auch eine zumindest temporär handelnde Polizei.

Nachdem Auflaufen auf das Gelände der Uniklinik in Leipzig und dem auch medial verbreiteten Auftreten von NPD-Mitgliedern und Reichsbürgern, konnte der Fakt, dass sich in die sog. „Spaziergänger“ auch Neonazis mischen und diese Proteste mit dominieren nicht mehr geleugnet werden. Was folgten waren Vorwürfe und neuerliche Theorien darüber, dass die NPD-Mitglieder im Auftrag des Verfassungsschutzes und der Polizei eingeschleust worden wären, um der Presse die Bilder zu liefern. Die eigene Unschuld wird betont. Schuld sind immer die Anderen. Verantwortung hat man keine und übernimmt auch keine.

Während in Leipzig insbesondere die „Bewegung Leipzig“ diese Geschichten verbreitet, um so zu tun, als würde man sich von „Rechtsextremen“ abgrenzen, während man auf Facebook vor allen Dingen Videos und Nachrichten der rechtsextremen „Freien Sachsen“ teilt, kommt das nicht in allen Teilen der Szene gut an. Unterschiedliche Aufrufe und Handlungsanweisungen verstärken die Querelen, an deren Ende, kaum noch Demonstrant*innen am Wochenende in Leipzig anzutreffen sind. Am vergangenen Montag waren es für das gesamte Stadtgebiet nur noch um die 500 Personen.

Und weil die Selbstwirksamkeit in einer Großstadt, wo man nur mit wenigen Dutzend Menschen irgendwo läuft, nicht erreicht werden kann, müssen Alternativen her. Alternativen, wie zum Beispiel in Engelsdorf. Hier ziehen noch jeden Montag mehrere hundert Menschen umher, auf der Suche nach Bedeutung. Letzten Montag ca 350, 370 nach der offiziellen Polizeimeldung, die aus ganz Leipzig und dem Umland nach Engelsdorf reisen um dort wieder eine Art Wirksamkeit zu erfahren.

Kein Nazi, nirgends

Im Ortschaftsrat von Engelsdorf sitzt mit Marius Beyer ein Vertreter der AfD, der bislang im Stadtrat weniger durch konstruktive Mitarbeit als durch Hetze und Hass aufgefallen ist. Beyer wiederum befeuerte das Geschehen in Engelsdorf auch immer wieder, meldete zwischenzeitlich die Spaziergänge als Demonstration an, was nicht bei allen Demonstrant*innen gut ankam und sorgte auch für das musikalische Begleitprogramm. Deutlich wird dabei auch die Strategie der AfD über die Fokussierung auf die eingemeindeten Ortschaften Stimmanteile bei der nächsten Wahl zu gewinnen. Begünstigt wird dies auch durch das Verhalten der Ortschaftsrät*innen.

Oft hört man, dass die „AfD“ eine demokratisch gewählte Partei sei und es schließlich undemokratisch sei, diese auszugrenzen. Außerdem würde es nur um die Sache gehen. Mit Rechten hat man kein Problem, solange sie demokratisch gewählt werden. Mit Zielen und Gefahren muss man sich nicht mehr auseinandersetzen. Dass in einem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat auch die Gegner dieses Rechtsstaates die gleichen Rechte haben und demokratisch gewählt noch keine Aussage über die demokratische Verfasstheit einer Partei ist, wird ausgeklammert. Es sind solche Haltungen, die den Aufstieg des Faschismus und die Verbreitung von Einstellungsmustern der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit erst möglich machen.

Außerdem hat man „Rechte“, „Rechtsextreme“ oder gar „Nazis“ nicht gesehen. Und wenn dann doch welche auftauchen, wie beim Durchbruch auf das Klinikgelände oder am 07. Februar 2022 in Engelsdorf, als eine antifaschistische Demonstration attackiert wurde, folgen (s.o.) die bekannten Erklärungsmuster.

Entweder seien die Personen, noch nie da gewesen und damit eingeschleuste Provokateure oder man könne doch nicht von Einzelnen auf alle schließen. Nein, letzteres kann man nicht. Es reicht aus, dass alle anderen mitlaufen und das Geschehen decken. „Man will sich halt auch nicht spalten lassen und so lange wie die Nazis auf der richtigen Seite laufen ist alles in Ordnung.

Fragile Mitte

Es ist auch eine Schwäche der demokratisch verfassten Parteien, dass dieses Geschehen eine scheinbare Wirkmächtigkeit erlangt.Während Parteivertreter*innen der CDU im östlichen Sachsen gemeinsame Sache mit den Coronaleugner*innen machen und schon mal, wie in Bautzen, ankündigen, die „Impfpflicht“ nicht durchzusetzen und das auch in die Mikrofone der Rechtsextremen verkünden, ringt man in Leipzig mit sich. Man will halt Stimmen gewinnen und schon die Vorstellung, dass es tatsächlich eine relevante Größe von potentiellen Wähler*innen sein könnte, die dort demonstriert, reicht aus, um das eigene Verhalten anzupassen,

Das Demonstrationsgeschehen wird durch das ambivalente Agieren verstärkt und so kann der Eindruck entstehen, dass bereits wenige hundert Demonstrant*innen tatsächlich eine Mehrheit seien. Dass diese dann beim nächst größeren Schreihals, welcher die Ablehnung noch drastischer formuliert, weg sind, ist einigen Politiker*innen offenbar entgangen. Und so können sich lokale Vertreter*innen von SPD und CDU auch in Engelsdorf nicht dazu durchringen, klare Kante zu zeigen. Man will „reden“. Dass dieses „reden“ aber einen Rahmen braucht, wird unterschlagen. Ein bisschen Haltung will man auch zeigen, gegen die Spaziergänger*innen, aber eben nicht zu deutlich und „Linke“ will man auch nicht haben.

Engelsdorf, so wird dann verkündet, darf kein Aufmarschgebiet von rechten und linken werden. Die Hufeisentheorie lässt grüßen. Die fragile Mitte verteidigt ihre Bürgerlichkeit, durch Gleichsetzung von links und rechts und der Delegation der Verantwortung. Mit eigenen Einstellungsproblemen hat dies alles mal wieder gar nichts zu tun.

Und dann doch Demonstration.

Wir sind nicht dem Irrglauben verfallen, dass allein Demonstrationen etwa ändern können. Aber sie sind ein Mittel, um den Widerspruch zu artikulieren und die sog. „Spaziergänger*innen“ mit der Kritik zu konfrontieren und die Widersprüche aufzuzeigen. Wir können nicht zu lassen, dass in Engelsdorf scheinbar eine Wohlfühlzone der Coronaleugner*innen und Rechtsextremen entsteht. Die Auswirkungen davon werden über das Pandemiegeschehen hinausreichen.

Wir rufen daher dazu auf, gemeinsam mit uns nach Engelsdorf zu fahren und den rechten Kräften ganz konkret den Platz zu nehmen und dabei die fragile Mitte mit ihren eigenen Lebenslügen zu konfrontieren.

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