Dokumentiert: Offener Brief an den Oberbürgermeister Burkhard Jung

Sehr geehrter Herr OBM Jung,

am Donnerstag haben Sie die frisch eingebürgerten „Neu-Leipziger angesichts der Legida-Bewegung um Mithilfe“ und „nachbarschaftliche Diskussionen“ gebeten. Als 2006 Eingebürgerte fühle auch ich mich in Anbetracht der aktuellen politischen Geschehnisse angesprochen und möchte Ihnen als politisch Verantwortlichen und nicht meinen Nachbarn mitteilen, was mich bewegt.

Ich lebe seit Dezember 1995 in Deutschland, habe in Leipzig studiert und wurde 2006 eingebürgert, was mit meinem Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung einherging. Nicht, dass ich eine komplett andere Vorstellung von den Idealen des Zusammenlebens hätte, aber so eine Unterschrift tut nicht weh, zumal das Ganze wunderbar klingt: Grund- und Menschenrechte für alle, und alle sind gleich.

Wie weit Theorie und Praxis in Sachsen auseinander klaffen, habe ich in der Vergangenheit bereits mehrfach feststellen müssen. Eine besonders bittere Erfahrung habe ich, wie viele Andere No-Legida-Anhänger_innen, am vergangenen Mittwoch gemacht. An diesem Abend wurden meiner Meinung nach gleich mehrere Grundrechte außer Kraft gesetzt.

Seitens der Polizei wurde mir und Anderen der Zugang zu den Kundgebungen gegen Legida mehrfach verweigert, keiner der Beamt_innen wusste auf die Fragen, wie man denn hinkäme, eine Antwort. Dafür bekamen ich folgende Tipps: „Lesen Sie doch den Live-Ticker der LVZ auf Facebook, die wissen mehr, als wir“, „Wir sind nicht von hier, wir kennen uns nicht aus. Weiter hinten ist eine Schleuse“, „Bleiben Sie doch zu Hause“ und „Gehen Sie doch zurück auf Ihre Couch“. Und so weiter, jeder Straßenzug „weiter hinten“ ist ein Polizeiwagenplatz, seit Stunden kein Weiterkommen in diesem Labyrinth. Als wäre dieser Umstand nicht frustrierend genug, wurden vor meinen Augen Legida-Anhänger_innen von der Polizei zu ihrer Demonstration durchgelassen, auch über die Köpfe der friedlichen Sitzblockade hinweg- im wahrsten Sinne des Wortes. Gegendemonstrant_innen wurden dagegen an der Wahrnehmung des entsprechenden Grundrechts von der Polizei gehindert, bedrängt und von der Polizei eingekesselt. An diesem Abend galt das Grundrecht auf die Versammlungsfreiheit wohl nur für die Legida-Anhänger_innen. Das ist nicht hinnehmbar und erschreckend.

Mehr als Sorgen machen mir die Berichte über die Untätigkeit der Polizist_innen bei tätlichen und verbalen Angriffen gegen Journalisten und No-Legida-Anhänger_innen, Vermummungen, Hitlergrüßen und Verwendung von anderen verfassungswidrigen Zeichen aus den Reihen von Legida. Während die einen ihr Grundrecht in einem scheinbar rechtsfreien Raum wahrnehmen konnten, durften sich die Anderen nicht einmal frei bewegen.

Herr Jung, bitte erklären Sie mir, wie sich diese Zustände mit den Prämissen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung vereinen lassen. Ich verstehe es nicht bin zutiefst enttäuscht.

Für Ihre Antwort bedanke ich mich im Voraus und stehe Ihnen für Rückfragen gern zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen,
A. K.

Leipzig, 24.01.15

3 Gedanken zu „Dokumentiert: Offener Brief an den Oberbürgermeister Burkhard Jung“

  1. …Seitens der Polizei wurde mir und Anderen der Zugang zu den Kundgebungen gegen Legida mehrfach verweigert….

    damit haben Sie sich disqualifiziert, dies glaubt Ihnen niemand !

    Wer in den Kessel wollte durfte nicht, die Demos waren drum herum und JEDER konnte dazu kommen. Vielleicht hatten Sie auch keine Lust Ihre Stimme gegen Legida zu erheben und sind einfach zu Hause geblieben.
    Diesen Brief hätten Sie sich sparen können. Wären Sie besser auf die Strasse gegangen !

    C.S.

  2. Kann ich nur bestätigen. Guter Brief. Ich denk es wird immer klarer wohin das führen kann. Es reicht nicht Lippenbekenntnisse zu hören es sollten auch Fakten und eine Strategie seitens der gewählten Vertreter der Stadt erkennbar sein. Um das zu erreichen bedarf es noch mehr solcher Briefe. Danke

  3. Ich kann die Erfahrungen von A.K. nur bestätigen. Ich bin über eine Stunde mit dem Fahrrad (!) vom Grassimuseum bis zur Probsteikirche unterwegs gewesen. Überall bin ich auf die gleichen Aussagen getroffen: Hier nicht, aber dadrüben… am Bahnhof soll ein Durchlass sein… am Grimmaischen Steinweg kommen Sie durch… wir sind nicht von hier… Hier geht’s nur durch, wenn Sie zu Legida wollen… Wirklich- an diesem Abend galt das Recht auf freie Meinungsäußerung nur sehr beschränkt den Nicht-Legida-Anhängern
    M.H.

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