Offener Brief an Oberbürgermeister und Ordnungsbürgermeister der Stadt Leipzig sowie den Polizeipräsidenten

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Jung,
sehr geehrter Herr Ordnungsbürgermeister Rosenthal,
sehr geehrter Herr Polizeipräsident Merbitz,

seit nunmehr einem Jahr erleben wir fast wöchentlich Aufmärsche der sogenannten LEGIDA, an denen neonazistische Hooligans, so genannte Reichsbürger und Verschwörungstheoretiker sowie extrem Rechte teilnehmen. In den Redebeiträgen wird zum Sturz des Systems aufgerufen, ausdrücklich rassistische Äußerungen werden kundgetan, Migrant_innen, Andersdenkende, Pressevertreter_innen und Politiker_innen werden beschimpft und diffamiert. Immer wieder bleibt es nicht nur bei verbaler Gewalt, auch die Übergriffe auf Menschen und Sachwerte haben zugenommen. Nicht zufällig kam es deshalb am ersten Jahrestag dieser völkischen Bewegung zum Angriff von mehr als 250 neonazistischen Hooligans auf einen ganzen Stadtteil.

Unser Anspruch war und ist es, kontinuierlichen Gegenprotest auf die Straße zu bringen und diesem Hass, der Hetze und letztlich dem Faschismus deutlich zu widersprechen. Auch dadurch wurde in Leipzig ein Flächenbrand wie in Dresden verhindert. Sie alle haben immer wieder die Notwendigkeit dieses Handelns betont.

Dennoch ist bei vielen Menschen der Eindruck entstanden, geprägt durch eigene Erfahrungen, dass einzelne Polizeibeamt_innen und zunehmend auch das Ordnungsamt nicht mehr neutral handeln sondern in Teilen mit LEGIDA sympathisieren. Beispielhaft verdeutlicht durch die Weitergabe von Polizeiinterna an Personen des neonazistischen Spektrums am 11.01.2016.

Am Montag, den 01.02.2016 will LEGIDA abermals in Leipzig aufmarschieren. Auch dazu ist notwendiger und legitimer Gegenprotest angemeldet. Wenn mehrere Grundrechtsträger aufeinander treffen sind die Grundrechte unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes so in Ausgleich zu bringen, dass beide ihre größtmögliche Reichweite entfalten. Diese Auslegung entspricht der konsequenten Anwendung des Rechtsstaatsprinzips wie es vom Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung erfolgt.

Tatsächlich stellt sich das Bild so dar, dass für angenommene 400 bis 600 Personen, die die Grundwerte unserer Demokratie und die Menschenrechte ablehnen, die Stadt in mehrere Bereiche geteilt wird. Vom Hauptbahnhof entlang des Tröndlingrings bis in die Jahnallee wird faktisch eine Grenze gezogen, die es nicht nur Teilnehmer_innen der Demonstrationen für Toleranz und Demokratie sondern darüber hinaus auch unbeteiligten Dritten unmöglich macht, vom Norden der Stadt in den Süden und umgekehrt zu gelangen. Dabei ist in diesem Bereich keine Demonstration angemeldet. Gleiches geschieht mit dem Westring vom Goerdelerring bis zum Neuen Rathaus. Während LEGIDA keine Einschränkungen in der Wegstrecke hinnehmen muss und sich am Bahnhof treffen und sodann, ohne Anmeldung, bis zum Richard- Wagner Platz ziehen darf, wird der Gegenprotest massiv beauflagt. Dabei werden grundlegende rechtsstaatliche Prinzipien außer Kraft gesetzt.

Die Beauflagung von Versammlungen richtet sich nach § 15 SächsVersG und darf nur dann erfolgen, wenn eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung droht. Dabei ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten und folglich stets das mildeste Mittel anzuwenden.

Dies stellt sich am Montag so dar, dass keine Mahnwachen an den Stolpersteinen während des Aufmarsches von LEGIDA stattfinden können, die Evangelische Studierendengemeinde nicht für den Erhalt des Naturkundemuseums demonstrieren darf und die „Initiative für ein Weltoffenes Gohlis“ nicht während der Zeit demonstrieren darf. Dem Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“ wird wiederholt nicht die angemeldete Route zugesprochen.

Der Gegenprotest wird pauschal für alle Störungen in Haft genommen, die es in der Vergangenheit gegeben hat. Gleiches lässt sich bei LEGIDA nicht behaupten. Dies dürfte maßgeblich mit der polizeilichen Gefahrenprognose zusammenhängen.

Werden die Fakten gegenübergestellt, ist festzustellen, dass eben nicht Grundrechte in Ausgleich gebracht werden sondern faktisch die Grundrechte der Teilnehmer_innen des Gegenprotestes nachrangig behandelt und deutlich stärker eingeschränkt werden. Dies geschieht offensichtlich, um einer pauschal antizipierten Gewalt entgegenzuwirken. An dieser Stelle konstatieren wir, dass die aktuellen Zahlen eine deutliche Sprache sprechen. Die seit dem Auftauchen der *Gidas eklatant steigende Zahl an Übergriffen, Brandanschlägen und Drohungen gegen Geflüchtete und Andersdenkende wären ohne den Hass und die Hetze der völkischen Bewegung nicht denkbar.

Viele Menschen, die sich regelmäßig dem Gegenprotest anschließen, haben Gewalt erlebt und erleben gerade, dass ihre Grundrechte, ihr Recht für die Menschenrechte einzutreten nachrangig behandelt werden.

Eine große Anzahl an Menschen verliert dadurch auch das Vertrauen in den Staat. Wenn das Vertrauen in die Institutionen des Staates sinkt, steigt die Bereitschaft zur Selbstjustiz. Wir laufen Gefahr eine Generation junger Menschen an die Gewalt zu verlieren. Statt der ursächlichen Gewalt wirksam entgegenzutreten, schafft der derzeitige Umgang mit unseren friedlichen Demonstrationen latent neue Gewalt.

Es ist ein Alarmsignal, dass inzwischen auch Vertreter_innen von Kirchen, Gewerkschaften und Parteien ihren Protest gegen diese Art des Handelns deutlich machen und ihr Unverständnis äußern.

Vor diesem Hintergrund fordern wir Sie auf:

  1. umfassend und transparent aufzuklären, wie Polizeiinterna an neonazistische Gruppen gelangen konnten,
  2. Beleidigungen durch Polizeibeamt_innen zu ahnden und zu unterbinden,
  3. den Grundsatz der praktischen Konkordanz und das Verhältnismäßigkeitsprinzip konsequent anzuwenden und die faktische Demonstration der LEGIDA vom Bahnhof zum Richard-Wagner-Platz zu unterbinden und den Ring wieder freizugeben,
  4. Gegendemonstrationen in Hör- und Sichtweite real zuzulassen.

Mit freundlichen Grüßen

gez. Jürgen Kasek und Irena Rudolph-Kokot
für das Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“

Leipzig, den 31. Januar 2016

Download des Offenen Briefes (PDF, 156kB)

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Jung,
sehr geehrter Herr Ordnungsbürgermeister Rosenthal,
sehr geehrter Herr Polizeipräsident Merbitz,

seit nunmehr einem Jahr erleben wir fast wöchentlich Aufmärsche der sogenannten LEGIDA, an denen neonazistische Hooligans, so genannte Reichsbürger und Verschwörungstheoretiker sowie extrem Rechte teilnehmen. In den Redebeiträgen wird zum Sturz des Systems aufgerufen, ausdrücklich rassistische Äußerungen werden kundgetan, Migrant_innen, Andersdenkende, Pressevertreter_innen und Politiker_innen werden beschimpft und diffamiert. Immer wieder bleibt es nicht nur bei verbaler Gewalt, auch die Übergriffe auf Menschen und Sachwerte haben zugenommen. Nicht zufällig kam es deshalb am ersten Jahrestag dieser völkischen Bewegung zum Angriff von mehr als 250 neonazistischen Hooligans auf einen ganzen Stadtteil.

Unser Anspruch war und ist es, kontinuierlichen Gegenprotest auf die Straße zu bringen und diesem Hass, der Hetze und letztlich dem Faschismus deutlich zu widersprechen. Auch dadurch wurde in Leipzig ein Flächenbrand wie in Dresden verhindert. Sie alle haben immer wieder die Notwendigkeit dieses Handelns betont.

Dennoch ist bei vielen Menschen der Eindruck entstanden, geprägt durch eigene Erfahrungen, dass einzelne Polizeibeamt_innen und zunehmend auch das Ordnungsamt nicht mehr neutral handeln sondern in Teilen mit LEGIDA sympathisieren. Beispielhaft verdeutlicht durch die Weitergabe von Polizeiinterna an Personen des neonazistischen Spektrums am 11.01.2016.

Am Montag, den 01.02.2016 will LEGIDA abermals in Leipzig aufmarschieren. Auch dazu ist notwendiger und legitimer Gegenprotest angemeldet. Wenn mehrere Grundrechtsträger aufeinander treffen sind die Grundrechte unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes so in Ausgleich zu bringen, dass beide ihre größtmögliche Reichweite entfalten. Diese Auslegung entspricht der konsequenten Anwendung des Rechtsstaatsprinzips wie es vom Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung erfolgt.

Tatsächlich stellt sich das Bild so dar, dass für angenommene 400 bis 600 Personen, die die Grundwerte unserer Demokratie und die Menschenrechte ablehnen, die Stadt in mehrere Bereiche geteilt wird. Vom Hauptbahnhof entlang des Tröndlingrings bis in die Jahnallee wird faktisch eine Grenze gezogen, die es nicht nur Teilnehmer_innen der Demonstrationen für Toleranz und Demokratie sondern darüber hinaus auch unbeteiligten Dritten unmöglich macht, vom Norden der Stadt in den Süden und umgekehrt zu gelangen. Dabei ist in diesem Bereich keine Demonstration angemeldet. Gleiches geschieht mit dem Westring vom Goerdelerring bis zum Neuen Rathaus. Während LEGIDA keine Einschränkungen in der Wegstrecke hinnehmen muss und sich am Bahnhof treffen und sodann, ohne Anmeldung, bis zum Richard- Wagner Platz ziehen darf, wird der Gegenprotest massiv beauflagt. Dabei werden grundlegende rechtsstaatliche Prinzipien außer Kraft gesetzt.

Die Beauflagung von Versammlungen richtet sich nach § 15 SächsVersG und darf nur dann erfolgen, wenn eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung droht. Dabei ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten und folglich stets das mildeste Mittel anzuwenden.

Dies stellt sich am Montag so dar, dass keine Mahnwachen an den Stolpersteinen während des Aufmarsches von LEGIDA stattfinden können, die Evangelische Studierendengemeinde nicht für den Erhalt des Naturkundemuseums demonstrieren darf und die „Initiative für ein Weltoffenes Gohlis“ nicht während der Zeit demonstrieren darf. Dem Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“ wird wiederholt nicht die angemeldete Route zugesprochen.

Der Gegenprotest wird pauschal für alle Störungen in Haft genommen, die es in der Vergangenheit gegeben hat. Gleiches lässt sich bei LEGIDA nicht behaupten. Dies dürfte maßgeblich mit der polizeilichen Gefahrenprognose zusammenhängen.

Werden die Fakten gegenübergestellt, ist festzustellen, dass eben nicht Grundrechte in Ausgleich gebracht werden sondern faktisch die Grundrechte der Teilnehmer_innen des Gegenprotestes nachrangig behandelt und deutlich stärker eingeschränkt werden. Dies geschieht offensichtlich, um einer pauschal antizipierten Gewalt entgegenzuwirken. An dieser Stelle konstatieren wir, dass die aktuellen Zahlen eine deutliche Sprache sprechen. Die seit dem Auftauchen der *Gidas eklatant steigende Zahl an Übergriffen, Brandanschlägen und Drohungen gegen Geflüchtete und Andersdenkende wären ohne den Hass und die Hetze der völkischen Bewegung nicht denkbar.

Viele Menschen, die sich regelmäßig dem Gegenprotest anschließen, haben Gewalt erlebt und erleben gerade, dass ihre Grundrechte, ihr Recht für die Menschenrechte einzutreten nachrangig behandelt werden.

Eine große Anzahl an Menschen verliert dadurch auch das Vertrauen in den Staat. Wenn das Vertrauen in die Institutionen des Staates sinkt, steigt die Bereitschaft zur Selbstjustiz. Wir laufen Gefahr eine Generation junger Menschen an die Gewalt zu verlieren. Statt der ursächlichen Gewalt wirksam entgegenzutreten, schafft der derzeitige Umgang mit unseren friedlichen Demonstrationen latent neue Gewalt.

Es ist ein Alarmsignal, dass inzwischen auch Vertreter_innen von Kirchen, Gewerkschaften und Parteien ihren Protest gegen diese Art des Handelns deutlich machen und ihr Unverständnis äußern.

Vor diesem Hintergrund fordern wir Sie auf:

  1. umfassend und transparent aufzuklären, wie Polizeiinterna an neonazistische Gruppen gelangen konnten,
  2. Beleidigungen durch Polizeibeamt_innen zu ahnden und zu unterbinden,
  3. den Grundsatz der praktischen Konkordanz und das Verhältnismäßigkeitsprinzip konsequent anzuwenden und die faktische Demonstration der LEGIDA vom Bahnhof zum Richard-Wagner-Platz zu unterbinden und den Ring wieder freizugeben,
  4. Gegendemonstrationen in Hör- und Sichtweite real zuzulassen.

Mit freundlichen Grüßen

gez. Jürgen Kasek und Irena Rudolph-Kokot
für das Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“

Leipzig, den 31. Januar 2016

Download des Offenen Briefes (PDF, 156kB)

PM: Welche Daten hat der sächsische Verfassungsschutz?

Nachdem bekannt wurde, dass das Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen einzelne Gruppen und Personen des Aktionsnetzwerkes „Leipzig nimmt Platz“ beobachtet, ruft das Netzwerk dazu auf, nach der Teilnahme an Aktionen und Demonstrationen des Aktionsnetzwerkes eine Anfrage auf Datenauskunft beim Landesamt zu stellen.

„Durch das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gedeckt hat Jede und Jeder einen Anspruch darauf, zu erfahren welche Daten von ihm oder ihr gespeichert wurden. Das Landesamt für Verfassungsschutz muss daher das Auskunftsersuchen beantworten“, so Jürgen Kasek, Rechtsanwalt für das Aktionsnetzwerk.

„Wir haben begründeten Verdacht, dass der sächsische Verfassungsschutz willkürlich Daten sammelt und einzelne Personen und Gruppen ohne rechtliche Grundlage überwacht. Den Versuch das Aktionsnetzwerk und damit auch Parteien, Kirchen und Gewerkschaften zu kriminalisieren werden wir nicht unwidersprochen hinnehmen. Wir wollen damit klären, wer und aus welchem Grund überwacht wird, und zudem den Grundrechtsschutz stärken“, so Irena Rudolph-Kokot zum Ansinnen der Aktion.

Das Aktionsnetzwerk wiederholt seine Kritik am Kurs des sächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz. Es entsteht der Eindruck, dass das Landesamt nicht die Verfassung schützt sondern selbst zu einem Problem für die Demokratie geworden ist. Immer wieder wird versucht, den Verdacht des „Linksextremismus“ zu konstruieren.

Dabei gilt der Satz, dass da wo es auch in der Mitte braun schimmert, bereits diejenigen als „linksextrem“ verdächtigt werden, die Grundrechte und Demokratie verteidigen.

Anbei ein Musterschreiben zur Einholung einer Auskunft zu den gespeicherten Daten. Betroffene von Überwachungsmaßnahmen werden gebeten, sich beim Aktionsnetzwerk zu melden.

Hintergrund: Das Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“, zu dem Gewerkschaften, Vereine, Parteien, Initiativen und Kirchen und gehören, hat sich mit dem Ziel gegründet, Widerspruch gegen rassistische, nationalistische und antidemokratische Aufmärsche gewaltfrei deutlich zu machen. Dazu finden regelmäßige offene Treffen statt, in welche die beteiligten Partner Personen entsenden können.

Download: Pressemitteilung und Musterschreiben: Leipzig, den 28. Januar 2016 (PDF, 151 kB)


Musterschreiben

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Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen
Postfach 10 02 47
01072 Dresden

Leipzig, den _______________

Auskunft über zu meiner Person gespeicherte Daten

Sehr geehrte Damen und Herren,

bitte erteilen Sie mir auf Grundlage von §18 Abs. 1 des Sächsischen Datenschutzgesetzes sowie §9 Abs. 1 des Sächsischen Verfassungsschutzgesetzes Auskunft über die durch Ihre Behörde (auch im Weg der Auftragsdatenverarbeitung) zu meiner Person in Systemen der elektronischen Datenerfassung und -verarbeitung gespeicherten Daten, im Besonderen über

  • personenbezogene Datensätze, die der sächsische Verfassungsschutz in NADIS pflegt,
  • den Zweck der Speicherung sowie
  • soweit möglich die Herkunft der Daten und
  • im Fall einer Übermittlung deren Empfänger.

Meiner Anfrage liegt ein generelles Informationsinteresse unter Wahrnehmung meines verfassungsrechtlich verbürgten Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung zugrunde.

Mit freundlichen Grüßen

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[Unterschrift]

Jahresauftakt 2016 gegen Legida

Antirassistischer Neujahrsempfang am 4. Januar
Pressekonferenz am 7. Januar

Danke für all das #platznehmen!
Das Jahr neigt sich dem Ende zu und wir hoffen sehr, dass alle unsere Unterstützer_innen und Mitstreiter_innen ein paar entspannte Tage hatten und auch den Start ins Jahr 2016 erfolgreich begehen können.

Das Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“ will an dieser Stelle allen Menschen danken, die unsere Aktionen in dem vergangenen Jahr unterstützt haben. Egal ob in Leipzig oder auf zahlreichen Bus- und Zugreisen ins sächsische „Kaltland“ – viele Leipzigerinnen und Leipziger haben uns dabei begleitet.

Die Aktionen waren leider auch mit etlichen Repressalien verbunden, und es gab zahlreiche Übergriffe auf Antifaschist_innen. Sehr viele Verfahren sind anhängig. Überdies gab es unsererseits Anzeigen und Verfahren gegen rechte Hetzer_innen. „Das antirassistische und antifaschistische Handeln braucht neben personeller und ideeller Unterstützung auch die finanzielle. Wer unsere Arbeit auf diese Weise unterstützen möchte, kann das gerne mit einer Spende tun. Jeder auch kleine Betrag hilft“, erklärt Irena Rudolph-Kokot für das Aktionsnetzwerk.

Im kommenden Jahr wird das Netzwerk seine Arbeit aktiv fortsetzen. Die Planungen für die ersten beiden Montage des Jahres sind längst angelaufen.

Zum Start ins Neue Jahr lädt „Leipzig nimmt Platz“ am 4. Januar ab 18 Uhr zum „Antirassistischen Neujahrsempfang“ auf den Refugees-Welcome-Platz ein.

Aber kein Ausblick ohne Bilanz: Für den 7. Januar, 17 Uhr ist im Werk 2 eine Pressekonferenz gemeinsam mit vielen anderen Organisator_innen der Proteste des vergangenen Jahres mit einem Rückblick und der Ankündigung für die zahlreichen Aktionen zum 11. Januar geplant.

„Auch in 2016 heißt es für uns, sich jeglichen nationalistischen und rassistischen Aufmärschen in unserer Stadt zu widersetzen. Wir setzen auf eine gute Kooperation mit allen, die unsere Ziele teilen“, so Rudolph-Kokot abschließend. Das Aktionsnetzwerk ruft auch im Neuen Jahr zum gewaltfreien Protest gegen Legida und alle anderen Gruppen auf, die Ideologien der Ungleichwertigkeit von Menschen verbreiten.

Pressemitteilung: Leipzig, den 29.12.2016 zum Download (PDF, 115kB)

Erfolgreicher Protest am 19. Oktober 2015 in Dresden und Leipzig

Der 19. Oktober stellte mit Kundgebungen und Aufmärschen von Neonazis sowohl in Leipzig als auch in Dresden eine Herausforderung nicht nur für das Aktionsnetzwerk sondern für alle Demokrat_innen in Leipzig und Dresden dar – die im Nachhinein jedoch als gut gemeistert betrachtet werden kann.

Während unter dem Motto „Herz statt Hetze“ bereits seit einigen Wochen dazu aufgerufen wurde, in Dresden gegen die demokratie- und menschenfeindliche PEGIDA zu protestieren und das Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“ zu diesem Anlass sechs Reisebusse organisierte, rief die „Offensive für Deutschland“ (OfD) in Leipzig unerwartet zu einer Demonstration auf. „Mittlerweile sind wir derartige Überraschungen gewohnt und können schnell und flexibel reagieren. Egal an welchem Tag der Woche – wir werden Hass und Hetze der Antidemokrat_innen nie unwidersprochen lassen“, so Irena Rudolph-Kokot für „Leipzig nimmt Platz“.

Protest gegen Legida in Dresden am 19. Oktober 2015 in Leipzig(eigene Bildquelle)

Der Protest gegen den rassistischen und menschenfeindlichen Aufruf des LEGIDA-Mitbegründers Silvio Rösler wurde durch die Bürgerinitiative „Leipziger Platzname“ zur Umbenennung des Richard-Wagner-Platzes in Refugees-Welcome-Platz initiiert. Die Versammlungen erhielten Zulauf von etwa 700 Leipziger_innen. Ihnen gegenüber standen ca. 70 Personen, die die OfD mobilisieren konnte, unter ihnen Alexander Kurth, Initiator der Proteste gegen den Moscheebau in Gohlis und stadtbekannter Neonazi (Die Rechte, ehem. NPD). Als die OfD LEGIDAs Marsch auf dem Innenstadtring imitieren wollten, bildeten Aktivist_innen eine friedliche Sitzblockade auf Höhe der Feuerwache. Die Polizei leitete den Aufmarsch um die Gruppe herum, ohne entsprechende Sicherheitsabstände zu berücksichtigen.

Der Protest in Dresden war mit vier Demonstrationen in Richtung Altstadt sehr groß angelegt. „Leipzig nimmt Platz“ unterstützte den Protest durch Mobilisierung von Teilnehmer_innen und Organisation der Reisebusse. Eine fünfte Aufzugsroute wurde kurzfristig untersagt. Als die Demonstration vom Bhf. Dresden-Neustadt ihren Endpunkt am Schloßplatz erreichte, wurde sie fast umgehend von den PEGIDA-Teilnehmer_innen mit Böller-, Flaschen- und Steinwürfen angegriffen. Der Versuch, die Demonstration direkt anzugreifen, konnte nur durch entschlossenes Dagegenhalten Tausender Demonstrant_innen verhindert werden. Nachdem die Situation aufgelöst werden konnte, war Protest in Hör- und Sichtweite zur PEGIDA-Kundgebung auf dem Theaterplatz möglich. Die Polizei trennte die Kundgebungen mit einer doppelten Wagenreihe ab.

Große Zustimmung durch die Demonstrierenden erhielten die Redebeiträge des Aktionsnetzwerks selbst, der Initiative „Kritischer Frieden Leipzig“ sowie der Gastbeitrag des Dresdner Bündnisses „GEPIDA – Genervte Einwohner protestieren gegen Intoleranz Dresdner Außenseiter“, in denen jeweils ausdrücklich betont wurde, dass der Protest gegen die Demokratie- und Menschenfeinde bei PEGIDA sich nicht in wenigen Großevents erschöpfen darf, sondern kontinuierlich und inhaltlich präzise stattfinden muss. In den Beiträgen wurde die soeben von Bundestag und Bundesrat beschlossene Asylrechtsverschärfung als menschenunwürdig kritisiert.

Jürgen Kasek erklärt für das Aktionsnetzwerk abschließend: „Der Protest in Leipzig und Dresden war am gestrigen Montag erfolgreich. Wir wünschen den Dresdnerinnen und Dresdnern viel Kraft und Ausdauer für den kontinuierlichen Widerstand. Unsere Unterstützung dafür ist auf jeden Fall sicher.“

Pressemitteilung: Leipzig, den 21. Oktober 2015

PM: Angriff durch „Offensive für Deutschland“ auf „Leipzig nimmt Platz“

Schwere Vorwürfe gegen das Verhalten der Polizei

Am gestrigen 19.10.2015 organisierte das Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“ eine gemeinsame Busreise zur Teilnahme am Protest gegen LEGIDA und PEGIDA in Dresden. Um Mitternacht, im Anschluss an die Rückkehr nach Leipzig, kam es zu einem Angriff auf einige der Reisenden.

Eine Gruppe von etwa fünfzig Menschen wollte gegen 0:20 Uhr den Hauptbahnhof Leipzig verlassen. Dabei war eine Bedrohungslage durch immer noch in der Innenstadt marodierende Teilnehmer_innen des Aufmarsches der „Offensive für Deutschland“ bekannt. Beim Versuch, langsam und geschlossen den Bahnhof durch dessen Osthalle zu verlassen, kam ihnen ein Mann entgegen, der dem Hooligan-Spektrum zugeordnet werden konnte. Dieser beleidigte die Gruppe und bedrohte sie mit einem Messer. Ihm folgten mehrere mit Holzstangen bewaffnete Hooligans, die auf einzelne Personen der Reisegruppe einschlugen und anderen Tritte versetzten und diese beleidigend anschrien. Außerhalb des Bahnhofs kam es zu Steinwürfen auf Teile der Reisegruppe, die die Osthalle verließen.

Die Polizeikräfte vor Ort, die zunächst nur beobachtend und unentschlossen abwarteten, ließen die bewaffneten Nazihools ungehindert an sich vorbei in den Bahnhof ein. In Reaktion auf die teils lebensbedrohlichen Angriffe ging die Polizei jedoch nicht gegen die Angreifer_innen vor, sondern drängte die Reisegruppe mit gezieltem Einsatz körperlicher Gewalt und mit Pfefferspray aus dem Hauptbahnhof. Augenzeug_innen berichten, dass anschließend in der geschlossenen Osthalle Rangeleien zwischen Polizei und Neonazis zu beobachten waren.

„Es war ein Glücksfall, dass keine Personen ernsthaft verletzt wurden. Weshalb die Polizei die Situation nicht nur zuließ, sondern die Eskalation abwartete, bleibt ebenso unklar wie die Frage, weshalb Festnahmen oder Identitätsfeststellungen bewaffneter Neonazis ausblieben, Zeugen nicht vernommen wurden und ein gezielter Pfeffersprayeinsatz auf Antifaschist_innen in der öffentlichen Berichterstattung der Polizei fehlt“, fasst Irena Rudolph-Kokot als Zeugin des Geschehens zusammen.

Das Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“ fordert alle vom Angriff Betroffenen auf, Gedächtnisprotokolle anzufertigen und in Kontakt zu treten, damit die Vorfälle gemeinsam zur Anzeige gebracht werden können.

Pressemitteilung vom 20. Oktober 2015


Ergänzung auf linksunten: Nach Pegida: Neunziger-Neonazi Kevin Dehn zückt Messer in Leipzig
Video des Angriffes auf Youtube: https://youtu.be/vimeSRvPPoU

Ziviler Ungehorsam – Häufige Fragen und Entgegnungen

Das Aktionsnetzwerk Leipzig nimmt Platz veröffentlicht ein FAQ (*frequently asked questions*) zum Thema Ziviler Ungehorsam.

zum download als pdf oder hier lesen

Inhaltsverzeichnis

1. Warum beschäftigt sich das Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“ mit Theorie und Praxis des Zivilen Ungehorsams?

2. Ziviler Ungehorsam – was ist das eigentlich?

3. Wie wirksam sind Sitzblockaden gegen Neonazismus? Handelt es sich um symbolische Aktionen?

4. Mit Aktionen Zivilen Ungehorsams kann ich mich strafbar machen. Was unterscheidet mein Handeln von einem anderen („kriminellen“) Gesetzesübertritt?

5. Was kann mir passieren, wenn ich auf mein Gewissen höre und dabei gegen Gesetze oder Vorschriften verstoße? Was sagt die Rechtsprechung zu Sitzblockaden?

6. Wir leben in einer Demokratie. Warum sollte ich mich gegen den Staat, einen Richterspruch oder Gesetze auflehnen? Ist das nicht undemokratisch und untergräbt den Rechtsstaat? Ist nicht Verfassungsfeind, wer grundlegende Gesetze missachtet?

7. „’Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden.’ Auch wenn eine Mehrheit nichts von Neonazis hält, eine Demokratie muss ihre Äußerungen und Demonstrationen aushalten. Denn Meinungs- und Versammlungsfreiheit gelten auch für Nazis. Wer demokratische Rechte von Minderheiten einschränkt, stellt sich mit ihnen auf eine Stufe…“ oder?

8. „Dass sich manche AktivistInnen auf die Straße setzen… ok. Aber MandatsträgerInnen sollen das Volk vertreten – wenn sie sich an Blockaden beteiligen, ist das einfach würdelos!“

9. „Mit dem Protest werden doch nur die Kosten für den Polizeieinsatz in die Höhe getrieben!“

10. „Die Nazis wollen doch nur Aufmerksamkeit. Mit Gegenaktionen bekommen sie genau diese. Besser sollte man sie mit Nichtbeachtung strafen und einfach marschieren lassen.“

11. „Bei Demonstrationen und Sitzblockaden werden doch nur Kämpfe zwischen Extremisten auf dem Rücken der örtlichen Bevölkerung ausgetragen, die eigentlich ihre Ruhe will…“

12. Wo kommt Ziviler Ungehorsam her? Wer sind bekannte historische VertreterInnen des Zivilen Ungehorsams?

13. Ist Ziviler Ungehorsam notwendigerweise gewaltfrei? Was ist überhaupt „gewaltfrei“?

14. Was unterscheidet Zivilen Ungehorsam von anderen gewaltfreien Aktionen?

15. Gewaltfreie Aktionen haben viele verschiedene Gesichter. Was sind gemeinsame Merkmale gewaltfreier Aktionen?

16. Welche Ziele verfolgen gewaltfreie Aktionen allgemein?

1. Warum beschäftigt sich das Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“ mit Theorie und Praxis des Zivilen Ungehorsams?

Im Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“ haben sich seit 2009 viele Menschen und Organisationen zusammengefunden, um auf geplante Neonaziaufmärsche zu reagieren. Die gemeinsame Basis ist in der Leipziger Erklärung formuliert:
„Wir werden den Neonazis den Weg versperren. Wir sind überzeugt, dass Menschen 2010 erst recht bereit sind, diesen Aufmarsch mit gewaltfreien und entschiedenen Widersetz-Aktionen zu verhindern.Wir selbst sind verantwortlich für die Stadt und die Gesellschaft, in der wir leben. Bei aller Unterschiedlichkeit unserer politischen Ansichten verbindet uns die Entschlossenheit, den erstarkenden Neonazi-Strukturen unsere Überzeugung, unseren Mut und Verstand, unsere Gemeinsamkeit und Vielfalt entgegenzusetzen…“
Die Aufmärsche vom 17.10.2009 und vom 16.10.2010 sind mit mit begrenzten, kollektiven und gewaltfreien Regelverletzungen und deren Ankündigung verhindert worden. Das Netzwerk ist aber auch darüber hinaus aktiv – z.B. möchten wir die Auseinandersetzung mit neonazistischen Ideologien anregen. Und wir möchten Zivilen Ungehorsam als geeignetes Mittel im Umgang mit diesen menschenverachtenden Einstellungen vorantreiben. Denn wir erachten gewaltfreie Aktionen Zivilen Ungehorsams als legitim und notwendig.

[nach oben]

2. Ziviler Ungehorsam – was ist das eigentlich?
Ziviler Ungehorsam ist kein bockiges Querstellen, sondern ganz bewusster und durchdachter Regelübertritt. Hintergrund ist, dass man in einem Gemeinwesen den eigenen Verstand und sein Gewissen als letzte Entscheidungsinstanz behält. Denn demokratische Mitgestaltung endet nicht mit Abgabe der Stimme in der Wahlkabine. Wenn in Politik oder Gesellschaft generell etwas falsch läuft, müssen die Verursachenden des Problems dies auch gezeigt bekommen oder Missstände sogar direkt verhindert werden. Unter Umständen werden dabei ein Gesetz oder eine Vorschrift übertreten. Mit voller Absicht und reinem Gewissen. Einfach ungehorsam.
Den zivilen Charakter bekommt der Ungehorsam dadurch, dass es um das Engagement von BürgerInnen geht (lat. Civilis = bürgerlich), die im Sinne demokratischer Selbstorganisation das Gemeinwesen, in dem sie leben, mitgestalten.
Definieren kann man Zivilen Ungehorsam also als einen bewussten, begrenzten Regelverstoß. Der kann sich auf ein Gesetz beziehen, auf eine Pflicht, auf die Weisung eines Staates oder einer anderen Macht. Im Gegensatz zu einem Streik gibt es dafür keine rechtliche Grundlage, damit ist ein Akt Zivilen Ungehorsams nicht legal. Basis des Handelns sind Gewissensentscheidungen, die die Handlung moralisch rechtfertigen – also legitim machen. Das ist jedoch nicht mit Beliebigkeit nach individuellem Vorteil zu verwechseln! So haben z.B. Rechtsphilosophen wie John Rawls und Jürgen Habermas Kriterien für zivil ungehorsames Verhalten aufgestellt: Die Handlungen sind auf das Allgemeinwohl gerichtet und rechtliche Konsequenzen werden akzeptiert. Außerdem sollen zuvor legale Möglichkeiten der Einflussnahme ausgeschöpft worden sein.
Unter den Ideen Zivilen Ungehorsams sammeln sich verschiedene Aktionsformen (Sitzblockade, Steuerverweigerung, Generalstreik, Ankett-Aktionen, etc.). Diese rühren v.a. aus den Denktraditionen gewaltfreien Protests und Widerstands her – also aus dem Bemühen, eine gesellschaftliche Unrechtssituation so zu verbessern, dass möglichst aller legitimen Bedürfnisse der Beteiligten Rechnung getragen wird. (vgl. Frage 14 zu Aktionsformen).

[nach oben]

3. Wie wirksam sind Sitzblockaden gegen Neonazismus? Handelt es sich um symbolische Aktionen?

Der Kern von neonazistischen Einstellungen lässt sich als gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit bezeichnen. Das meint Ideologien der Ungleichwertigkeit, verbunden mit antipluralistischen und autoritären Vorstellungen, wie eine Gesellschaft auszusehen habe[1]. Studien zeigen, dass solche Einstellungen weit verbreitet sind. Ein Teil dieser Neonazis organisiert sich in Parteien, Kameradschaften, Netzwerken, etc. Vor allem aus solchen Strukturen heraus versuchen sie, andere mit ihren Ideologien zu erreichen – u.a. indem sie Aufmärsche durchführen. Sitzblockaden können verhindern, dass solche Aufmärsche ungestört verlaufen – häufig sogar, dass sie überhaupt stattfinden. So geschehen z.B. am 17.10.2009 in Leipzig oder am 13.02.2010 in Dresden.
Das Mittel der Sitzblockade kann sicherlich nicht bereits vorhandene rechte Gesinnungen abändern. Wohl aber kann so verhindert werden, dass die Parolen unwidersprochen an dafür empfängliche Menschen getragen werden. Die rechte Szene kann außerdem nicht nach innen gestärkt aus den Aufmärschen hervor gehen, bestenfalls wird sie sogar zermürbt. Darüber hinaus gehen von zivilgesellschaftlichen Sitzblockaden starke Zeichen aus:
– dass sich viele BügerInnen mit verschiedensten weltanschaulichen Hintergründen für eine aktive und menschenfreundliche Gesellschaft einsetzen – wenn es sein muss, sogar mit dem eigenen Körper.
– dass diese Menschen mit verantwortlicher Entschlossenheit vorangehen – und nicht warten, dass gesellschaftliche Auseinandersetzungen z.B. an Gerichte delegiert werden.
– dass rechte Aufmärsche Weck- und Warnrufe verlangen – denn sie sind nicht bloße Unmutsäußerungen. Die Aufmärsche zielen auf Eroberung der Macht in der Gesellschaft.

Eine Sitzblockade – wie Ziviler Ungehorsam allgemein – kann somit beides sein: eine symbolische Aktionsform, die starke Signale an die Öffentlichkeit und Politik sendet, aber auch ein Mittel, mit dem konkret und direkt Unrecht verhindert oder zumindest eingedämmt wird.

[1] vgl. Einstellungsforschung von O. Decker und E. Brähler oder Forschung zu „Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ um W. Heitmeyer

[nach oben]

4. Mit Aktionen Zivilen Ungehorsams kann ich mich strafbar machen. Was unterscheidet mein Handeln von einem anderen („kriminellen“) Gesetzesübertritt?

Das zivil ungehorsame Mittel der Sitzblockade an sich stellt jedoch nach derzeitiger Rechtsprechung in Deutschland keine
Straftat dar, ist also nicht kriminell – siehe nächste Frage.

Für begrenzte Regelübertritte im Rahmen von Aktionen Zivilen Ungehorsams gilt allgemein:
– Sie beruhen auf einer Gewissensentscheidung (und nicht beispielsweise auf Habgier oder Rache).
– Sie dienen einem übergeordneten, am Gemeinwohl orientierten Ziel (z.B. einer menschenfreundlichen, pluralistischen Gesellschaft statt und persönlichen Vorteil).
– Sie werden nicht verheimlicht und häufig sogar angekündigt (und nicht vertuscht).
– Sie werden in der Bereitschaft durchgeführt, die rechtlichen Konsequenzen zu tragen.

[nach oben]

5. Was kann mir passieren, wenn ich auf mein Gewissen höre und dabei gegen Gesetze oder Vorschriften verstoße? Was sagt die Rechtsprechung zu Sitzblockaden?

Man kann nicht allgemeingültig beantworten, welche rechtlichen Konsequenzen bei begrenzten Gesetzesüberschreitungen zu erwarten sind. Konkret für gewaltfreie Blockaden in Deutschland haben sich jedoch in den vergangenen Jahrzehnten Tendenzen gezeigt:
– Die Teilnahme an gewaltfreien Sitzblockaden wird meist nur als Ordnungswidrigkeit behandelt und (wenn überhaupt) mit einem Bußgeld belegt. (Doch bei den großen Sitzblockaden der letzten Jahre wurden nicht einmal Personalien der AktivistInnen aufgenommen und damit auch keine Bußgeldbescheide versendet.)
– Die Teilnahme ist keine Straftat (im Sinne von § 240 StGB), stellt also auch keine verwerfliche Nötigung oder Gewalt dar. Das hat das Bundesverfassungsgericht 1995 im Zusammenhang mit Blockaden in Mutlangen festgestellt. (Eine strafbare Nötigung kann sich jedoch trotzdem unter bestimmten, sehr unwahrscheinlichen Umständen ergeben[1].)
– Zwar sind Blockaden keine angemeldeten Versammlungen, dennoch stehen sie unter dem Schutz des Versammlungsrechts. Damit steht ihre Auflösung durch die Polizei unter dem Gebot der „strikten Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit“ (BVerfG 1985). Selbst polizeiliche Räumungen von Sitzblockaden müssen dreimal angekündigt werden, sodass AktivistInnen die Möglichkeit haben, den Ort zu verlassen. (Dieses Vorgehen geschieht jedoch nicht immer.)

[1] vgl. das sog. Zweite-Reihe-Urteil oder bei aktivem Widerstand

[nach oben]

6. Wir leben in einer Demokratie. Warum sollte ich mich gegen den Staat, einen Richterspruch oder Gesetze auflehnen? Ist das nicht undemokratisch und untergräbt den Rechtsstaat? Ist nicht Verfassungsfeind, wer grundlegende Gesetze missachtet?

Wer wohl überlegt und begrenzt ein Gesetz übertritt, muss damit noch lang nicht einen Staat komplett ablehnen oder ihn gar bekämpfen. Denn denjenigen, die zivilen Ungehorsam üben, geht es letztlich um den Schutz von Bürger- oder Menschenrechten. Manche interpretieren Zivilen Ungehorsam daher als „aktiven Verfassungsschutz“[1] innerhalb einer bestehenden Ordnung. Rechtsphilosoph Jürgen Habermas sieht in diesem Sinne zivil ungehorsame Handlungen als „Element einer reifen politischen Kultur“. Er spricht sich dafür aus, dass BürgerInnen Gesetze nur solange befolgen sollen, wie diese auch gerecht sind (qualifizierter statt absoluter Rechtsgehorsam).
Andere wehren sich gegen eine solche staatstragende Interpretation von Zivilem Ungehorsam, weil dieser damit zu einem zahnlosen Tiger werde. Sie wünschen sich grundsätzlichere Veränderungen – sei es in politischen, wirtschaftlichen oder sonstigen Systemen auf lokaler, nationaler oder internationaler Ebene. Um das zu verdeutlichen, wird manchmal der Begriff „ziviler Widerstand“ genutzt.
Wenn also im konkreten Fall ein genehmigter Naziaufmarsch durch eine Sitzblockade verhindert wird, bricht damit nicht der demokratische Rechtsstaat in sich zusammen: Beide Versammlungen stehen unter dem Schutz des Versammlungsrechts! Die Polizei ist daher angehalten, nicht das Demonstrationsrecht einer Veranstaltung mit Gewalt umzusetzen, sondern zu deeskalieren und abzuwägen.
Die Aktionen, zu denen das Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“ aufruft, möchten demokratisches Handeln fördern. Denn zum einen stellen Proteste eine politische Teilhabe wacher Menschen dar. Zum anderen organisieren sich Sitzblockaden nach basisdemokratischen Prinzipien.

[1] so z.B. Peter Zimmermann vom Aktionsnetzwerk Jena in „Ziviler Ungehorsam gegen rechtsextreme Aufmärsche“

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7. „’Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden.’ Auch wenn eine Mehrheit nichts von Neonazis hält, eine Demokratie muss ihre Äußerungen und Demonstrationen aushalten. Denn Meinungs- und Versammlungsfreiheit gelten auch für Nazis. Wer demokratische Rechte von Minderheiten einschränkt, stellt sich mit ihnen auf eine Stufe…“ oder?

Kein Prinzip gilt uneingeschränkt. Selbst die derzeitige Rechtsprechung in Deutschland schränkt da Meinungs- und Äußerungsfreiheit ein, wo der „öffentliche Frieden“ gefährdet wird und Bevölkerungsteile verunglimpft werden (Volksverhetzung, §130 StGB).
Keine Toleranz der Intoleranz: Für viele engagierte Menschen endet da die Toleranz, wo sie nur genutzt wird, um ein restriktives System zu errichten. Die neonazistische NPD zum Beispiel ist zwar eine zugelassene Partei, die sich zur Wahl stellen darf und Steuergelder empfängt. Das heißt aber noch lange nicht, dass sie auch demokratische Werte lebt. Im Gegenteil. Selbst hält sie die demokratische Maske oben, kooperiert aber eng mit neonationalsozialistischen Kameradschaften. Die wiederum hetzen offen mit Slogans wie „Demokraten bringen uns den Volkstod“.
Viele wünschen sich Demonstrationsverbote für Nazis von Richtern und kommunalen Behörden. Doch die sind – aus guten Gründen – an Gesetze gebunden. Sie können lediglich formale Fehler der Anmeldenden klug nutzen. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass sie eine Gesinnungsjustiz etablierten. Das würde bedeuten, dass nur genehme Meinungen auf Demonstrationen o. ä. verbreitet werden dürften. Mit Demokratie hätte das nichts mehr zu tun. Die Versammlungsfreiheit gilt für alle. Hier sind also BürgerInnen gefragt, die selbst aktiv werden und ihre Möglichkeiten des gewaltfreien Widerstandes gegen die menschenverachtende Ideologie der Nazis nutzen.

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8. „Dass sich manche AktivistInnen auf die Straße setzen… ok. Aber MandatsträgerInnen sollen das Volk vertreten – wenn sie sich an Blockaden beteiligen, ist das einfach würdelos!“

Diese Meinung tauchte v.a. auf, als sich Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse am 1. Mai 2010 an einer Sitzblockade gegen Nazis beteiligte. Doch was macht die Würde eines Amtes aus? Sind es oberflächliche Merkmale im Sinne von Kleidung, Gangart etc.? Vielleicht auch… Aber wichtiger ist wohl eine innere Haltung des Amtsträgers oder der Amtsträgerin – z.B. Stellungbeziehen und Engagement gegen Menschenverachtung. Denn: „Dem äußeren Habitus kann jeder Strolch genügen, so er nur Manieren hat.“[1]

[1] Heribert Prantl im Artikel „Vater Courage – Streit um Thierse“ SZ online, 05.05.2010

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9. „Mit dem Protest werden doch nur die Kosten für den Polizeieinsatz in die Höhe getrieben!“

Sicherlich wäre es zunächst kostengünstiger, wenn Neonazis ungehindert durch die Straßen marschieren könnten. Wer wirklich über Geld reden möchte, sollte aber auch die langfristigen Kosten rechter Politik berücksichtigen (Vertreibungen, aufgerüstete Verfolgungsbehörden, medizinische Versorgung der Opfer, …). Doch um Kosten geht es gar nicht! Politische Beteiligung, Demokratie, Selbstverwaltung – all das kostet Zeit, Mühen und auch Geld. Diese Ideale haben höhere Priorität als kurzfristige Kostenersparnis. Andernfalls wäre eine dramatische Entwertung von elementaren Grundrechten die Folge: sie wären bloß lästige Kostentreiber, die man sich leisten kann oder auch nicht.

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10. „Die Nazis wollen doch nur Aufmerksamkeit. Mit Gegenaktionen bekommen sie genau diese. Besser sollte man sie mit Nichtbeachtung strafen und einfach marschieren lassen.“

Selbstverständlich erhoffen sich Neonazis Aufmerksamkeit – v.a. von Menschen, die sie leicht mit ihren menschenverachtenden Parolen beeinflussen können. Das wäre umso einfacher, wenn sich die Neonazis unwidersprochen präsentieren könnten. Zu dieser gewünschten Wirkung nach außen kommt noch, dass gelungene Aufmärsche die rechte Szene nach innen stärken. Sich allgemein mit menschenverachtenden Gesinnungen und Strukturen auseinander zu setzen ist daher genau so wichtig, wie gegen einzelne Aktionen zu protestieren und sich zu widersetzen.

11. „Bei Demonstrationen und Sitzblockaden werden doch nur Kämpfe zwischen Extremisten auf dem Rücken der örtlichen Bevölkerung ausgetragen, die eigentlich ihre Ruhe will…“

An zivilgesellschaftlichen Protesten gegen Naziaufmärsche (wie in Leipzig, Jena oder Dresden) beteiligt sich keineswegs nur eine gesellschaftliche Randgruppe. Organisiert werden diese Aktionen von breiten Bündnissen und Netzwerken, in denen sehr viele verschiedene Organisationen und Einzelpersonen vertreten sind[1]. Über diese verzerrte Wahrnehmung hinaus, klingt in der Äußerung auch an, die Gesellschaft lasse sich klar in Extremisten verschiedener Lager und eine demokratische Mitte trennen, die von den Rändern her bedroht werde. Doch dieses Modell ist zum einen falsch (z.B. weisen viele Studien nach, wie verbreitet neonazistische Einstellungen in der Mehrheitsbevölkerung
sind[2]) und zum anderen setzt das Modell gleich, was ungleich ist. Der Extremismusansatz differenziert nicht nach politischen Einstellungen, Zielen oder realer Bedrohung, die von jemandem ausgeht. Damit werden Rassismus, Antisemitismus und andere Ungleichwertigkeitsideologien verniedlicht und zivilgesellschaftlich-antifaschistisches Engagement diskreditiert[3].
Dass die örtliche Bevölkerung nur ihre Ruhe wolle, ist eine vereinnahmende Behauptung, die eventuell mehr über diejenigen aussagt, die sie aussprechen, als über die Bewohnerschaft insgesamt. Denn schließlich greift ein Teil der Menschen aus den Orten, in denen sich Nazis ein Podium geben wollen, selbst mutig ein.

[1] siehe z.B. UnterstützerInnenliste Leipzig 2010
[2] vgl. Einstellungsforschung von O. Decker und E. Brähler oder Forschung zu „Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ um W. Heitmeyer
[3] mehr zum Thema bei der „Initiative gegen jeden Extremismusbegriff“

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12. Wo kommt Ziviler Ungehorsam her? Wer sind bekannte historische VertreterInnen des Zivilen Ungehorsams?

Der Ausdruck Ziviler Ungehorsam (im Englischen Civil Disobedience) wurde geprägt von Henry David Thoreau (1817-1862). Der US-amerikanische Philosoph nutzte einen Tag in Haft wegen Steuerverweigerung, um seinen Essay „Civil Disobedience“ (deutscher Titel: „Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat“) zu verfassen. In dieser Rechtfertigungsschrift erklärte er, dass er die Steuern nicht mehr gezahlt habe, um gegen den Krieg der USA gegen Mexiko und gegen die Sklaverei zu protestieren.
Zu den modernen Vätern und Müttern des Zivilen Ungehorsams zählen zudem Mahatma Gandhi, Rosa Parks und Martin Luther King. Daneben bezeichnen tausende AtomkraftgegnerInnen, FriedensdemonstrantInnen, GlobalisierungskritikerInnen und GentechnikgegnerInnen ihr Handeln als Zivilen Ungehorsam. Auch DDR-BürgerInnen handelten im Herbst 1989 nach dem Prinzip Zivilen Ungehorsams: Im Eintreten für allgemeine Grund- und Menschenrechte wurden im begrenzten Umfang Gesetze übertreten[1].

[1] mehr zur Geschichte Zivilen Ungehorsams z.B. im Beitrag „Ein Jahrhundert des Revolutionären Zivilen Ungehorsams“ (Lou Marin, im Buch „nicht alles tun“ von J. Kastner, B. Spörr (Hg.)) oder bei Wikipedia

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13. Ist Ziviler Ungehorsam notwendigerweise gewaltfrei? Was ist überhaupt „gewaltfrei“?

Zunächst: Das Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“ ruft explizit zu gewaltfreien Aktionen auf (siehe Leipziger Erklärung).
Allgemein hat Ziviler Ungehorsam eine starke Tradition im gewaltfreien Protest. Dabei wird ausgeschlossen, Menschen zu schädigen. Diese Gewaltfreiheit kann wiederum eine ethische Grundhaltung sein (prinzipielle Gewaltfreiheit) oder gerade als die nützlichste Strategie erscheinen (pragmatische Gewaltfreiheit). Gewaltfreiheit bezieht sich auf Lebewesen. Sachbeschädigung wird hingegen nicht immer ausgeschlossen[1].
Jenseits der Gewaltfreien Tradition könnte man durchaus auch Handlungen als Zivilen Ungehorsam bezeichnen, bei denen Menschen zu Schaden kommen: z.B. im extremen Falle von Tyrannenmord.

[1] z.B. 2003 drangen FriedensaktivistInnen der „Pitstop Ploughshares“ in den irischen Flughafen Shannon ein und setzten Flugzeuge außer Gefecht, die im Rahmen des Irak-Krieges für das US-Militär zwischenlandeten. Aufgrund der verfassungsmäßig festgeschriebenen Neutralität Irlands wurden sie freigesprochen.

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14. Was unterscheidet Zivilen Ungehorsam von anderen gewaltfreien Aktionen?

In der gesamten Geschichte und Bandbreite gewaltfreier politischer Aktionen ist der Zivile Ungehorsam nur eine Form. Der Politikwissenschaftler Gene Sharp hat historische Fallbeispiele analysiert und zählte 198 Methoden, die er in folgende Untergruppen aufteilt[1]:
– Gewaltfreier Protest und Überzeugung
– Soziale Nichtzusammenarbeit
– Ökonomische Nichtzusammenarbeit I: der Boykott
– Ökonomische Nichtzusammenarbeit II: der Streik
– Politische Nichtzusammenarbeit (inklusive Ziviler Ungehorsam)
– Gewaltfreie Intervention

Eine andere grobe Einordnung unternimmt der Politikwissenschaftler Theodor Ebert. Er ordnet Aktionsformen nach ihrer Eskalationsstufe und nach subversivem vs. konstruktivem Charakter[2]:

Eskalationsstufe Subversive Aktion Konstruktive Aktion
1 (niedrig) Protest
Methode: protestieren
Aktionen: Flugblatt, Kundgebung, Protestmarsch
Funktionale Demonstration
Methode: angestrebte Alternative zeigen
Aktionen: Seminar, Erklärungen
2 (erhöht) Legale Nicht-Zusammenarbeit
Methode: gemeinsamer, koordinierter Entzug der Kooperation mit Herrschenden in den Grenzen der Gesetze. Soziale Rollen werden bewusst nicht mehr gespielt.
Aktionen: zivile/militärische Ämter ablehnen, Wahl-Boykott, Verbraucher-Boykott, Bummel-Streik
Legale Rolleninnovation
Methode: Installieren alternativer Rollen/Institutionen zum bisherigen System
Aktionen: neue Zeitung gründen, eigenen Bildungsstätten gründen, alternative Wirtschaftsformen
3 (Hoch) Ziviler Ungehorsam
Methode: bewusstes, offenes Übertreten von Vorschriften/Gesetzen
Aktionen: Sitz-Blockade, Anketten, symbolische Abrüstungsaktionen, Steuern verweigern, Generalstreik
Zivile Usurpation
Methode: So-tun-als-ob das angestrebte System schon bestehen würde: Akteure praktizieren neue, gerechtere Formen des Zusammenlebens, die jedoch gegen bestehende Rechtsordnung verstoßen
Aktionen: Besetzen von Land oder Häusern, Sit-in/Go-in an “verbotenen” Orten, Kirchenasyl in Deutschland

[1] vgl. Gene Sharp, The Methods of Nonviolent Action, Boston 1973. oder als PDF-Übersicht
[2] vgl. Theodor Ebert, Gewaltfreier Aufstand. Alternative zum Bürgerkrieg. Frankfurt 1970.

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15. Gewaltfreie Aktionen haben viele verschiedene Gesichter. Was sind gemeinsame Merkmale gewaltfreier Aktionen?

Rahmenbedingungen von gewaltfreien Aktionen, Protesten und Widerstand sind von Fall zu Fall unterschiedlich. Und sie speisen sich aus verschiedenen religiösen oder weltanschaulichen Quellen. Einige gemeinsame Merkmale gibt es aber [1]:

– persönliches, meist auch öffentliches Eintreten gegen Verhältnisse, die als ungerecht/nicht tragbar empfunden werden
– Offenlegen der eigenen Absichten, d.h. im Regelfall werden Aktionen angekündigt
– häufig der Versuch, mit anderen Konfliktparteien in einen Kommunikations- und Verständigungsprozess zu treten
– gewaltfreie Akteure tragen (juristische) Konsequenzen ihres Handelns
– klare Absage an Gewalt:
… kein Androhen und Ausüben von Gewalt im Sinne physischer oder psychischer Schädigung von Personen
… Bereitschaft, lieber Leiden auf sich zu nehmen, als Gewalt gegen Personen anzuwenden
… in der Regel keine Gewalt gegen Sachen
… kein Behindern lebensnotwendiger Dienstleistungen (Krankenversorgung, Energie etc.)

[1] nach Bläsi, Gewaltfreier Widerstand, 2004. In: Sommer & Fuchs (Hrsg.), Krieg und Frieden – Handbuch der Konflikt- und Friedenspsychologie

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16. Welche Ziele verfolgen gewaltfreie Aktionen allgemein?

Das hängt davon ab, wie stark das empfundene Unrecht tragender Teil des bestehenden Systems ist. Es lassen sich stark vereinfacht vier Zielsetzungen unterscheiden[1].

1. Veränderung einzelner Anordnungen oder Gesetzesvorschriften
Das betrifft Subsysteme oder bestimmte Politikbereiche eines Landes. Beispiel: Protest in der Berliner Rosenstraße 1943, Protest gegen Raketenstationierung in der BRD Anfang der 1980er Jahre
2. Umsturz des Herrschaftssystems innerhalb eines Landes
Das kann die einheimischen Machtinhaber betreffen oder aber Kolonialmächte in einem Land.
Beispiel: Beenden der SED-Herrschaft in der DDR 1989, Gandhis Freiheitskampf für Indien gegen die englische Kolonialmacht
3. Abwehr einer feindlichen Invasion
Beispiel: Widerstand der tschechischen Bevölkerung gegen Einmarsch der Warschauer-Pakt-Staaten 1968
4. Gewaltfreie Intervention in einem externen Konflikt
Der Widerstand richtet sich gegen das Unrecht in anderen Ländern.
Beispiel: 3.000 Menschen wollten 1993 als Friedenskaravane den Bosnien-Krieg stoppen

Über einzelne Aktionen für gerechtere Verhältnisse hinaus haben sich die gewaltfreien Bewegungen auch Gedanken über Strategien und Wege gemacht, wie man eine Gesellschaft tiefgreifend verändern kann [2].

[1] nach Bläsi, Gewaltfreier Widerstand, 2004. In: Sommer & Fuchs (Hrsg.), Krieg und Frieden – Handbuch der Konflikt- und Friedenspsychologie
[2] zu nennen sind z.B. die Handlungsanweisung für Befreiungsbewegungen „From Dictatorship to Democracy“ (Gene Sharp) und
die Kampagnen-Anleitung „Handbook for Nonviolent Campaigns“ (WarResistorsInternational)

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