PM: Ziviler Ungehorsam ist kennzeichnend für eine aufgeklärte Gesellschaft

Zum Demonstrationsgeschehen am 2. Mai 2016

Am 2. Mai 2016 beteiligten sich mehr als 1000 Menschen an den Protesten gegen das menschenfeindliche LEGIDA Bündnis. Allein der Demonstration des Aktionsnetzwerks, die unter dem Motto „Solidarität – Für soziale Gerechtigkeit“ über den Innenstadtring lief, schlossen sich über 750 Personen an.

Kurz nach 19 Uhr ließen sich einige hundert Menschen auf dem Martin-Luther-Ring nieder, um im Rahmen des friedlichen zivilen Ungehorsams ihren Protest gegen LEGIDA kundzutun, während der vordere Teil der Demonstration weiter zum Richard-Wagner-Platz zog. Mit Ordnungsamt und Polizei wurde über die Legalisierung dieser spontanen Versammlung verhandelt. Die Entscheidung des Ordnungsamtes, die Spontanversammlung nur auf einer Ringseite zuzulassen, stieß auf Unverständnis des Verhandlungskollektivs.

„Die Entscheidung von Ordnungsamt und Polizei, eine Ringseite zu räumen, erscheint gerade vor dem Hintergrund, dass die sitzende Versammlung auf dem Ring etwa so viele Teilnehmende umfasste wie der LEGIDA-Marsch, unverhältnismäßig. Anstelle einer gewissenhaften Abwägung und Entscheidung im Sinne der Ausübung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit der auf dem Ring Protestierenden, setzten die Behörden auf Repression. Das ist nicht zu akzeptieren und ein Kniefall vor LEGIDA“, so Juliane Nagel, die an den Verhandlungen teilnahm.

Obwohl der LEGIDA-Aufmarsch schlussendlich umgeleitet wurde, endete der Abend für 163 Personen in Polizeigewahrsam und mit der Einleitung von Strafverfahren wegen des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz. Die Polizei filmte immer wieder ohne erkennbare Rechtsgrundlage und setzte wiederholt und ohne erkennbare Strategie körperliche Gewalt ein. Eine Journalistin, die diesen Polizeieinsatz dokumentieren wollte, wurde geschlagen.

Die auf dem Richard-Wagner-Platz Demonstrierenden solidarisierten sich in der Folge mit den in Gewahrsam Genommenen und zogen mit einer friedlichen Spontandemonstration zur Polizeikette, an der eine Kundgebung angemeldet war, um die Festgehaltenen abzuholen. Nach Hinweis des Ordnungsamtsleiters Herrn Loris wurden sie dort in die Ratsfreischulstraße umgeleitet. Ein Verstoß gegen Auflagen, von dem im Polizeibericht zu lesen ist, ist hier nicht bekannt,

„Sowohl die Menschen in der Sitzblockade als auch diejenigen, die sich dann der Spontandemonstration anschlossen, haben zivilen Ungehorsam gelebt, wie er nach Jürgen Habermas prägend ist für eine aufgeklärte Gesellschaft“, erklärt Jürgen Kasek für das Netzwerk.

„Ein weiteres Mal werden Menschen, die Demokratie leben und die Grundrechte gegen deren erklärte Feinde verteidigen, mit Repression überzogen. Dem Vertrauensverlust in den Rechtsstaat wird damit Vorschub geleistet“, ergänzt Juliane Nagel.

Leipzig nimmt Platz wird das Geschehen umfassend auswerten und in Abstimmung mit allen Beteiligten Rechtsmittel gegen die Entscheidungen der Stadt prüfen. Das Aktionsnetzwerk vertritt auch weiterhin die Auffassung, dass ziviler Ungehorsam als Akt des symbolischen Protestes angezeigt ist, wenn Menschenfeinde über die Straßen ziehen und rechte Gewalt sich ausbreitet.

Pressemitteilung: Leipzig, den 3. Mai 2016


„Ziviler Ungehorsam ist ein moralisch begründeter Protest, dem nicht nur private Glaubensüberzeugungen oder Eigeninteressen zugrunde liegen dürfen; er ist ein öffentlicher Akt, der in der Regel angekündigt ist und von der Polizei in seinem Ablauf kalkuliert werden kann; er schließt die vorsätzliche Verletzung einzelner Rechtsnormen ein, ohne den Gehorsam gegenüber der Rechtsordnung im Ganzen zu affizieren; er verlangt die Bereitschaft, für die rechtlichen Folgen der Normverletzung einzustehen; die Regelverletzung, in der sich ziviler Ungehorsam äußert, hat ausschließlich symbolischen Charakter – daraus ergibt sich schon die Begrenzung auf gewaltfreie Mittel des Protests.“

Jürgen Habermas: Ziviler Ungehorsam – Testfall für den demokratischen Rechtsstaat. Wider den autoritären Legalismus in der Bundesrepublik, in: Peter Glotz (Hrsg.): Ziviler Ungehorsam im Rechtsstaat, Frankfurt/Main: Suhrkamp 1983, S. 35.

Leipzig nimmt Platz am 4. April

Das Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“ ruft am 4. April zu Demonstrationen gegen Legida und damit verbundene rechte Gruppierungen auf. Die Auftaktkundgebung des Aktionsnetzwerks beginnt um 18 Uhr auf dem Augustusplatz. Anschließend verläuft die Demo über den Ring am Hbf. entlang hin zum Refugees-Welcome-Platz. Von dort gibt es die Möglichkeit, parallel zum Aufzug von Legida über die Große Fleischergasse und den Oberen Dittrichring bis fast zum Neuen Rathaus in Hör- und Sichtweite Protest zu üben.

Zwei weitere Demonstrationen werden sich aus Leutzsch („a monday without you“) und Lindenau (Global Space Odyssey mit dem Titel „¡No Bassarán!“) ab 17 Uhr ebenfalls in die Innenstadt bewegen. Das Bündnis „Willkommen in Leipzig“ organisiert ab 19 Uhr ein Lichterband „Licht statt Hass“ zwischen der „Runden Ecke“ und dem Neuen Rathaus. Anschließend finden eine Demonstration am Mendelssohn-Portal der Thomaskirche und das Friedensgebet statt. Die Evangelische Studierendengemeinde organisiert ab 18:30 Uhr eine Demonstration am Naturkundemuseum, die von der Katholischen Studentengemeinde Leipzig unterstützt wird.

Carolin Franzke für „Leipzig nimmt Platz“: „Am 4. April stellen sich breite Bündnisse, die inhaltlich kaum verschiedener sein können, gegen die hetzerischen Aufmärsche von Legida. Das Aktionsnetzwerk begrüßt dies ausdrücklich und wirbt für die Beteiligung an allen Protestformen. Nur sind am kommenden Montag die Karten anders verteilt als gewohnt, da eine breite Unterstützung für Legida von Nazistrukturen zu erwarten ist. Wir rufen auf, Gesicht zu zeigen und Platz zu nehmen.“

Legida hat vor Kurzem die Frontfigur Markus Johnke verloren, der offensichtlich im Streit mit Pegida das Handtuch geworfen hatte. Der öffentliche Einstieg seines Nachfolgers Patrick Filz könnte eine noch deutlichere Hinwendung zu offen rassistischen Äußerungen zur Folge haben. Dies legen auch die kürzlich erfolgten Aufrufe rechts bekennender Bündnisse nahe.

Der wegen Körperverletzung vorbestrafte und geschasste NPD-Aktivist Enrico Böhm, der aber weiterhin gewählter Stadtrat in Leipzig ist, hat unter dem neuen Namen „Wir für Leipzig“ zeitgleich mit „Wir lieben Sachsen“, die der NPD und der Splitterpartei Die Rechte nahestehen, zu einer Unterstützungsdemo aufgerufen. Damit sind mit den Namen Silvio Rösler und Alexander Kurth (ebenfalls vorbestraft) alle öffentlich präsenten Namen der deutlich rechts positionierten Szene vorhanden. Komplettiert werden die Aufrufe durch die berüchtigte Brigade Halle/BHS und weitere Nazigruppierungen.

Die Aufrufe zu diesen rechten Demonstrationen werden mit einer unbestreitbaren Notwendigkeit des Friedens und der Kritik am Imperialismus unterlegt – und sind damit vergleichbar mit den Montagsmahnwachen ab 2014. Mit diesen Themen soll eine Anschlussfähigkeit für breitere, sich selbst allgemein als links begreifende Menschen hergestellt werden.

„Mit diesen Ankündigungen wird überdeutlich, dass die rechte Szene zum Sturm auf Leipzig mobilisiert und Legida als – laut öffentlichen Medien – ‘asyl- und regierungskritisches’ Vehikel nutzt. Wir rufen alle Menschen auf, sich diesem Treiben entgegenzustellen. Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, Homophobie und Sexismus, Intoleranz und Hass dürfen in unserer Gesellschaft keinen Platz bekommen“, schließt Carolin Franzke für das Aktionsnetzwerk ab.

Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Themen von Legida hatte das Aktionsnetzwerk im Aufruf für den 4. April veröffentlicht: http://www.leipzig-nimmt-platz.de/le0404/

Pressemitteilung: Leipzig, 01.04.16

Leipzig weltoffen? – Vorurteilen konsequent widersprechen!

Demonstration am 24. Februar ab 16 Uhr vor dem Neuen Rathaus

Leipzig möchte weltoffen sein und deutlich machen, dass die Stadt internationales Flair verströmt. Mit Blick auf das Demonstrationsgeschehen sei dies besonders für den Wirtschaftsstandort von Belang, wie erst kürzlich Händlergemeinschaft und Dehoga betonten. Ein Blick, der zur kurz greift und der kapitalistischen Logik entspringt, anstatt konsequent für Menschenrechte einzutreten. Das aktuelle Problem Leipzigs – regelmäßige Aufmärsche einer faschistoiden Bewegung und die parallele Zunahme von Alltagsrassismus – wird man mit dem Ansatz einer reinen Verwertungslogik nicht lösen können,die die gruppenbezogene Abwertung stattdessen eher bestärkt. Auch den Händlern und Hoteliers täte ein Blick über den Tellerrand, im eigenen Interesse, gut.

Gerade das vergangene Jahr hat eindrücklich gezeigt, dass der Anspruch „weltoffen“ zu sein eben nicht von der kompletten Stadtgesellschaft gelebt wird und es mehr als das bloße Wiederholen eines Anspruches bedarf, um Zielvorstellungen Wirklichkeit werden zu lassen.

Wer weltoffen sein will, in dem Sinne, dass man aufgeschlossen gegenüber anderen Kulturen auftritt, muss sich auch mit Vorurteilen auseinandersetzen und darf diese nicht ignorieren.

Wir können nachvollziehen, dass viele das redundante Demonstrationsgeschehen rund um den Protest gegen LEGIDA ablehnen und sich Ignoranz wünschen. Ignoranz, die zu Lösungen wie in Dresden führt – einer Stadt, die sich inzwischen damit rühmen kann, auf der Titelseite der „Times“ mit dem Slogan „unwelcome“ zu prangern und die jeden Montag zum Angstraum von Geflüchteten und Nicht-Rechten wird.

Dass es bislang in Leipzig dazu nicht gekommen ist, hängt auch damit zusammen, dass es von Anfang an kontinuierlichen Gegenprotest gab, der von breiten Teilen der Zivilgesellschaft getragen wurde. Ein Gegenprotest, der dazu geführt hat, dass LEGIDA nicht anschlussfähig wurde und in einer Parallelgesellschaft von 400 bis 600 Menschen versunken ist, die den Untergang Deutschlands zitieren und die die Sehnsucht nach einem neuen Totalitarismus umtreibt.

Wir verkennen nicht, dass im Schatten des Geschehens die Angriffe auch in Leipzig deutlich zugenommen haben. Informationsveranstaltungen zur Unterbringung von Geflüchteten in Holzhausen und Paunsdorf zeigen, dass Einstellungsmuster der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit abseits der Demonstrationen bis weit in die Mitte der Gesellschaft Fuß gefasst haben.

Dabei muss klar sein, dass in einer Demokratie alles gesagt werden kann – im Rahmen der Demokratie. Rassistische Äußerungen, die Abwertung von anderen Menschen, verlassen diesen demokratischen Rahmen, der von der Gleichheit aller Menschen ausgeht. Rassismus, Frauenverachtung, Antisemitismus dürfen wir ebenso wenig tolerieren wie die immer wieder stattfindenden Angriffe auf die Pressefreiheit im Rahmen von LEGIDA-Demonstrationen.

Wenn Leipzig wirklich weltoffen sein will, wird es also darum gehen müssen, diesen Rahmen immer wieder deutlich zu machen und Vorurteilen konsequent zu widersprechen und diese zu widerlegen. Wer zugunsten von Wählerstimmen Verständnis für Rassismus hat, verrät die Demokratie, verrät die Menschenrechte und macht sich mitschuldig an der virulenten rechten Gewalt in Sachsen.

Dass es mit dem Anspruch nicht allzu weit her ist, wird mit Blick auf das Demonstrationsgeschehen deutlich. Die Stadt Leipzig lässt LEGIDA-Versammlungen nicht nur in beständig größer werdendem Rahmen zu, sondern beauflagt zeitgleich den Gegenprotest in einer Art und Weise, die diesen immer mehr einschränkt, teilweise sogar verunmöglicht. Die Versammlungsbehörde hat das Grundrecht neutral auszulegen. Dass dies noch der Fall ist, darf bezweifelt werden. Zu oft erleben wir, dass LEGIDA ohne Anmeldung in einer quasi Demonstration vom Bahnhof bis zum Refugees-Welcome-Platz zieht. Ein Aufzug, der in klarem Widerspruch zum Versammlungsrecht steht und der dazu führt, dass alle anderen angemeldeten Versammlungen zu einem anderen Ort beauflagt werden.

Auch das Verhalten der Polizeibeamten lässt mehr und mehr Zweifel an der Neutralität aufkommen. Wir werden an dieser Stelle nicht die unzähligen Vorkommnisse bei allen Demonstrationen wiedergeben. Wir verkennen nicht, dass ein Großteil der Beamten die Arbeit beanstandungslos versieht, doch es muss auch für die Polizei ein Alarmsignal sein, wenn Beschwerden und Anzeigen exponentiell zugenommen haben und selbst Pressevertreter sich in den Chor der kritischen Stimmen gegenüber der Polizeiarbeit einreihen. Wenn nicht einmal mehr die Pressefreiheit durch die Polizei geschützt wird, dann bewegen wir uns in Richtung eines Unrechtsstaates, der Menschenrechte nicht schützt, Grundrechte einseitig auslegt und aushöhlt.

Nein, Leipzig ist nicht weltoffen.

Aber jeder einzelne Vertreter dieser Stadt kann etwas dafür tun, dass dieser Anspruch umgesetzt wir: Immer wieder laut und deutlich Vorurteilen widersprechen und Ideologien der Menschenfeindlichkeit nicht tolerieren, sondern klar und deutlich zurückweisen.

Wir wiederholen unsere Forderungen aus dem offenen Brief, der Anfang Februar Oberbürgermeister Jung, Ordnungsbürgermeister Rosenthal und Polizeipräsident Merbitz erreichte:

  1. umfassend und transparent aufzuklären, wie Polizeiinterna an neonazistische Gruppen gelangen konnten,
  2. Beleidigungen durch Polizeibeamt_innen zu ahnden und zu unterbinden,
  3. den Grundsatz der praktischen Konkordanz und das Verhältnismäßigkeitsprinzip konsequent anzuwenden und die faktische Demonstration der LEGIDA vom Bahnhof zum Richard-Wagner-Platz zu unterbinden und den Ring wieder freizugeben,
  4. Gegendemonstrationen in Hör- und Sichtweite real zuzulassen.

Wir rufen dazu auf, am 24.02. ab 16 Uhr vor dem Neuen Rathaus gemeinsam mit dem Aktionsnetzwerk und allen beteiligten Gruppen und Initiativen deutlich zu machen, dass es für Menschenfeindlichkeit keinen Rückzugsraum geben darf und die Stadt einen langen Weg vor sich hat, um weltoffen zu sein. Wir demonstrieren auch für das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit, das man uns so oft genommen hat.