ABGESAGT! Im Osten nichts Neues – Protest in Engelsdorf am 28. Februar 2022

UPDATE 27.02.2022

Unser Protest wird aufgrund der aktuellen Ereignisse in der Ukraine nicht stattfinden.

Weitere Infos unter: https://platznehmen.de/2022/02/28/nie-wieder-krieg-ukraine/

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Engelsdorf ist in den letzten Wochen zum Hotspot der Demonstrationen der Coronaleugner*innen-Szene in Leipzig geworden. Engelsdorf kann dabei stellvertretend für eine Reihe von kleineren Orten in der Peripherie von Leipzig genannt werden, wo montäglich, die sich selbst als „Spaziergänger“ bezeichneten Demonstrant*innen, zusammenfinden, um ein gemeinsames „Zeichen gegen die da oben“ zu setzen.

Zwischen Bewegung und Gegenbewegung.

Dass vor allen Dingen kleinere Orte große Aufmerksamkeit erhalten, hat Gründe. In kleineren Orten sind bereits wenige Demonstrant*innen eine Nachricht und damit Grundlage von Bildern, die insbesondere über rechtsextreme Telegramkanäle, wie denen von den „Freien Sachsen“ geteilt werden, zusammen mit frei erfundenen Zahlen, die eine vorrevolutionäre Stimmung heraufbeschwören wollen. Die Meldungen der „Freien Sachsen“ werden dabei auch von der Bewegung Leipzig geteilt, die betont nichts mit rechts zu tun zu haben.

Dem oder der einzelnen wird suggeriert, Teil von etwas ganz Großem zu sein. Die Sehnsucht nach Selbstwirksamkeit und das eigene Leben mit Bedeutung, mit Sinn aufzuladen, kreuzt sich mit dem Wunsch, Teil einer kollektiven Identität zu werden. Endlich wieder „Volk“ sein. „Gemeinsam“ mit anderen für das große Ziel. Was genau dieses Ziel eigentlich ist, wird nicht beantwortet. Denn jede Auseinandersetzung mit einem Ziel, jede Diskussion über genaue Lösungen, würde in mühevollen Diskussionsprozessen zu einer Diversifizierung führen und damit dem zentralen Ziel, eine Masse auf die Straße zu bekommen, entgegenstehen. Man ist eben einfach „dagegen“. Wogegen genau, bleibt im Ungefähren. Ein wenig gegen die Impfpflicht, ein bisschen gegen die Regierung, sowieso gegen Corona, gegen die Maßnahmen, irgendwie doch gegen alles.

Das Amalgam der Bewegung ist die Abgrenzung nach außen. Zu denen, die im altbekannten Sound noch jeder „Erweckungsbewegung“, noch „schlafen“ oder „ahnungslos“ sind und einfach mit den Begriffen wie „Systemlinge“, „Pharmalobbyisten“ und diffamiert werden. Jede/r der nicht für die „Spaziergänger*innen“ ist, ist damit Gegner und entweder „Systemlink“, Kommunist, Antifa oder ähnliches. Es geht nicht um die inhaltliche Auseinandersetzung, es geht um alles, was immer dieses „alles“ auch ist. Durch die Beliebigkeit schafft an allerdings auch eine hohe Anschlussfähigkeit an alle Unzufriedenen und sich selbst als benachteiligt fühlenden in der Gesellschaft.

Aber gerade in Leipzig zeigen sich vermehrt Risse. Nachdem die Demonstrationen am Völkerschlachtdenkmal schließlich in einer erwartbaren Eskalation mündeten, machen Schuldvorwürfe die Runde. Das organisierte Auftreten von Gegenprotest, welcher die selbst ernannten „Spaziergänger“ immer wieder mit den Vorwürfen konfrontiert, führt ebenso zu einer Gereiztheit innerhalb der Gruppen, wie auch eine zumindest temporär handelnde Polizei.

Nachdem Auflaufen auf das Gelände der Uniklinik in Leipzig und dem auch medial verbreiteten Auftreten von NPD-Mitgliedern und Reichsbürgern, konnte der Fakt, dass sich in die sog. „Spaziergänger“ auch Neonazis mischen und diese Proteste mit dominieren nicht mehr geleugnet werden. Was folgten waren Vorwürfe und neuerliche Theorien darüber, dass die NPD-Mitglieder im Auftrag des Verfassungsschutzes und der Polizei eingeschleust worden wären, um der Presse die Bilder zu liefern. Die eigene Unschuld wird betont. Schuld sind immer die Anderen. Verantwortung hat man keine und übernimmt auch keine.

Während in Leipzig insbesondere die „Bewegung Leipzig“ diese Geschichten verbreitet, um so zu tun, als würde man sich von „Rechtsextremen“ abgrenzen, während man auf Facebook vor allen Dingen Videos und Nachrichten der rechtsextremen „Freien Sachsen“ teilt, kommt das nicht in allen Teilen der Szene gut an. Unterschiedliche Aufrufe und Handlungsanweisungen verstärken die Querelen, an deren Ende, kaum noch Demonstrant*innen am Wochenende in Leipzig anzutreffen sind. Am vergangenen Montag waren es für das gesamte Stadtgebiet nur noch um die 500 Personen.

Und weil die Selbstwirksamkeit in einer Großstadt, wo man nur mit wenigen Dutzend Menschen irgendwo läuft, nicht erreicht werden kann, müssen Alternativen her. Alternativen, wie zum Beispiel in Engelsdorf. Hier ziehen noch jeden Montag mehrere hundert Menschen umher, auf der Suche nach Bedeutung. Letzten Montag ca 350, 370 nach der offiziellen Polizeimeldung, die aus ganz Leipzig und dem Umland nach Engelsdorf reisen um dort wieder eine Art Wirksamkeit zu erfahren.

Kein Nazi, nirgends

Im Ortschaftsrat von Engelsdorf sitzt mit Marius Beyer ein Vertreter der AfD, der bislang im Stadtrat weniger durch konstruktive Mitarbeit als durch Hetze und Hass aufgefallen ist. Beyer wiederum befeuerte das Geschehen in Engelsdorf auch immer wieder, meldete zwischenzeitlich die Spaziergänge als Demonstration an, was nicht bei allen Demonstrant*innen gut ankam und sorgte auch für das musikalische Begleitprogramm. Deutlich wird dabei auch die Strategie der AfD über die Fokussierung auf die eingemeindeten Ortschaften Stimmanteile bei der nächsten Wahl zu gewinnen. Begünstigt wird dies auch durch das Verhalten der Ortschaftsrät*innen.

Oft hört man, dass die „AfD“ eine demokratisch gewählte Partei sei und es schließlich undemokratisch sei, diese auszugrenzen. Außerdem würde es nur um die Sache gehen. Mit Rechten hat man kein Problem, solange sie demokratisch gewählt werden. Mit Zielen und Gefahren muss man sich nicht mehr auseinandersetzen. Dass in einem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat auch die Gegner dieses Rechtsstaates die gleichen Rechte haben und demokratisch gewählt noch keine Aussage über die demokratische Verfasstheit einer Partei ist, wird ausgeklammert. Es sind solche Haltungen, die den Aufstieg des Faschismus und die Verbreitung von Einstellungsmustern der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit erst möglich machen.

Außerdem hat man „Rechte“, „Rechtsextreme“ oder gar „Nazis“ nicht gesehen. Und wenn dann doch welche auftauchen, wie beim Durchbruch auf das Klinikgelände oder am 07. Februar 2022 in Engelsdorf, als eine antifaschistische Demonstration attackiert wurde, folgen (s.o.) die bekannten Erklärungsmuster.

Entweder seien die Personen, noch nie da gewesen und damit eingeschleuste Provokateure oder man könne doch nicht von Einzelnen auf alle schließen. Nein, letzteres kann man nicht. Es reicht aus, dass alle anderen mitlaufen und das Geschehen decken. „Man will sich halt auch nicht spalten lassen und so lange wie die Nazis auf der richtigen Seite laufen ist alles in Ordnung.

Fragile Mitte

Es ist auch eine Schwäche der demokratisch verfassten Parteien, dass dieses Geschehen eine scheinbare Wirkmächtigkeit erlangt.Während Parteivertreter*innen der CDU im östlichen Sachsen gemeinsame Sache mit den Coronaleugner*innen machen und schon mal, wie in Bautzen, ankündigen, die „Impfpflicht“ nicht durchzusetzen und das auch in die Mikrofone der Rechtsextremen verkünden, ringt man in Leipzig mit sich. Man will halt Stimmen gewinnen und schon die Vorstellung, dass es tatsächlich eine relevante Größe von potentiellen Wähler*innen sein könnte, die dort demonstriert, reicht aus, um das eigene Verhalten anzupassen,

Das Demonstrationsgeschehen wird durch das ambivalente Agieren verstärkt und so kann der Eindruck entstehen, dass bereits wenige hundert Demonstrant*innen tatsächlich eine Mehrheit seien. Dass diese dann beim nächst größeren Schreihals, welcher die Ablehnung noch drastischer formuliert, weg sind, ist einigen Politiker*innen offenbar entgangen. Und so können sich lokale Vertreter*innen von SPD und CDU auch in Engelsdorf nicht dazu durchringen, klare Kante zu zeigen. Man will „reden“. Dass dieses „reden“ aber einen Rahmen braucht, wird unterschlagen. Ein bisschen Haltung will man auch zeigen, gegen die Spaziergänger*innen, aber eben nicht zu deutlich und „Linke“ will man auch nicht haben.

Engelsdorf, so wird dann verkündet, darf kein Aufmarschgebiet von rechten und linken werden. Die Hufeisentheorie lässt grüßen. Die fragile Mitte verteidigt ihre Bürgerlichkeit, durch Gleichsetzung von links und rechts und der Delegation der Verantwortung. Mit eigenen Einstellungsproblemen hat dies alles mal wieder gar nichts zu tun.

Und dann doch Demonstration.

Wir sind nicht dem Irrglauben verfallen, dass allein Demonstrationen etwa ändern können. Aber sie sind ein Mittel, um den Widerspruch zu artikulieren und die sog. „Spaziergänger*innen“ mit der Kritik zu konfrontieren und die Widersprüche aufzuzeigen. Wir können nicht zu lassen, dass in Engelsdorf scheinbar eine Wohlfühlzone der Coronaleugner*innen und Rechtsextremen entsteht. Die Auswirkungen davon werden über das Pandemiegeschehen hinausreichen.

Wir rufen daher dazu auf, gemeinsam mit uns nach Engelsdorf zu fahren und den rechten Kräften ganz konkret den Platz zu nehmen und dabei die fragile Mitte mit ihren eigenen Lebenslügen zu konfrontieren.

Sachsen, lasst euch impfen

Wer errinnert sich noch daran? Vor ziemlich genau zwei Jahren geisterten verirrte Meldungen durch die Presse, dass in China ein neues Virus ausgebrochen ist und irgendein Mann aus Bayern sich auf einer Dienstreise damit angesteckt hat. Was seitdem passiert ist hat sich tief in unser kollektives Gedächtnis eingebrannt.

Welle nach Welle überrollte uns und zwang uns unsere Kontakte, unser Freizeit und unser Leben einzuschränken. Grundsätzlich ist es nur verständlich darüber wütend zu werden. Warum müssen wir uns so einschränken, auf so viel verzichten? Es sind aber keine erfundenen globalen Eliten, keine dunklen Mächte oder Strippenzieher im Hintergrund die durch Kontrolle des öffentlichen Lebens die Macht über die „mutigen“ Spaziergänger ausüben wollen, sondern schlicht und einfach die Tatsache, dass wir einer tödlichen Seuche gegenüberstehen. Und im Gegensatz zu Pest, Cholera und spanischer Grippe haben wir moderne Hygienestandards, medizinische Versorgung und Impfstoffe, die mittlerweile milliardenfach getestet unzählige Leben gerettet haben.

Es ist klar für uns gibt es auch weiter nur einen Weg aus der Pandemie: Sachsen, lasst euch impfen!

Die Alternative sind weitere Jahre der Lockdowns und tausende Tote.

Machen wir es heute kurz: Wieder einmal müssen wir Montag auf die Straße gehen, weil es Montag ist und das für die Querdenker:innen, Schwurbler:innen und überzeugte Nazis der Tag ist, an dem sie jeden Anlass nutzen, um ihren Antisemitismus, ihren Wunsch nach Abschaffung der verfassten Demokratie und ihren Hass auf andere Lebensentwürfe kundtun wollen. Wir sagen nicht mit uns und Sachsen, lasst euch impfen!

Spazierengehen ist auch nur Mitlaufen – Protest am 07.02.2022

Seit mehreren Monaten kommt es in Leipzig jeden Montag zu Kundgebungen und nicht angezeigten Versammlungen. Diese ziehen unterschiedliche Menschen an, und es wird versucht, eine Brücke von der Kritik an Corona-Maßnahmen, über Verschwörungserzählungen und Antisemitismus hin zu neonazistischen Einstellungen zu schlagen. Es wundert daher nicht, wenn diese inhaltsentleerte Kritik den Nährboden für extrem rechte Parteien bereitet. Die sogenannten “Spaziergänger”, die wegen der Abwesenheit gemeinsamer Inhalte ein diffuses Gefühl des Dagegenseins verbindet, sind die prädestinierten Mitläufer:innen, wenn extrem rechte Gruppen wie “Freie Sachsen” oder die AfD aufrufen.

Oft genug bleiben diese Ansammlungen unwidersprochen und von den Behörden bestenfalls begleitet statt konsequent deren Regelverstöße zu ahnden. Dagegen wird gegenüber links gelesenen Menschen hart durchgegriffen: Personenkontrollen, absurde Vorwürfe angeblicher Verstöße gegen Corona-Schutzmaßnahmen und permanente Gängelung.

Die Behörden wollen offenbar „die Lager trennen“, aber während die einen sich an das Versammlungsrecht halten, demonstrieren die “Spaziergänger” ihre Abneigung gegen den Staat durch Verstöße gegenpräventive Abstandsregeln oder eine Maskenpflicht.

Seit einiger Zeit hat sich Leipzig-Engelsdorf zu einem Hotspot der Szene entwickelt. Während in der Innenstadt, Gohlis, Schleußig und Markkleeberg immer mehr zivilgesellschaftlicher Protest gegen die rechte Raumnahme deutlich wurde, blieb das Treiben in Engelsdorf weitgehend ungestört. Zentrale Figur ist dabei ein AfD-Stadtrat, der bislang mit Reden an der Grenze zur Volksverhetzung auffiel und keine Möglichkeit auslässt, Hass zu säen. Die Rede ist von Marius Beyer einem besonders unangenehmen Hetzer.

Im Aktionsnetzwerk Leipzig nimmt Platz haben viele Gruppen, Initiativen und Parteien ausdauernd auf dieses rechte Treiben aufmerksamen gemacht und Protest dagegen organisiert. Dem haben sich immer wieder viele Leipziger:innen angeschlossen. Wir wissen, dass es unter den Gefährdungen einer Pandemie für jede und jeden Einzelnen schwierig sein kann, an Demos teilzunehmen. Dennoch sind wir der festen Überzeugung, dass es entschlossenen antifaschistischen Protest gerade auch in dieser Zeit dringend braucht. Wir sind keine Schönwetter-Demonstrant:innen, die nur dann auf die Straße gegen, wenn es gerade mal bequem zu sein scheint.

Es bleibt schwierig, Menschen mit geschlossenen rechten Weltbildern oder Verschwörungsgläubige vom Gegenteil zu überzeugen. Wir richten unsere Proteste aber vor allem an die solidarische Mehrheit in dieser Gesellschaft. An die vielen Menschen, die sich an Regeln halten, sich einschränken, sich regelmäßig testen. Zum eigenen Schutz, aber vor allem auch zum Schutz ihrer Liebsten und des persönlichen Umfelds. Wir werden daher auch künftig immer dann protestieren, wenn unsolidarische und regressive Kräfte versuchen, in dieser Stadt rechte Handlungsräume zu etablieren oder zu erweitern. Wir bleiben laut gegen Verschwörungserzählungen, Antisemitismus und rechte Hegemoniebestrebungen. Wir rufen die solidarische Stadtgesellschaft auch weiterhin zum gemeinsamen Platznehmen auf.

Corona nervt – uns auch. Wir sind gefrustet, haben Alltagssorgen oder schwanken zwischen der Forderung nach mehr Einschränkungen und der notwendigen Kritik an Grundrechtseinschränkungen. Wir sind uns aber unserer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst, immer wieder gegen rechte Einstellungen aufzustehen. Wir kämpfen solidarisch an der Seite mit vielen anderen gesellschaftlichen Gruppen und Bewegungen, die ebenso ihre Kämpfe umsetzen. Wir bleiben dabei aber stets selbstkritisch und antifaschistisch. Wir hinterfragen uns selbst. Und wir unterstützen eben gerade nicht vorbehaltlos alle Demos in Leipzig – wir halten Abstand gegen rechts. Das unterscheidet uns von den vielen Corona-Protesten, denen es um egoistische Ziele geht, die Hass und Hetze vorantreiben und dabei willfährig den immer gleichen Leuten hinterherlaufen, ohne zu hinterfragen welche menschenverachtenden Einstellungen dort reproduziert werden. Für uns ist klar: Spazierengehen ist auch nur Mitlaufen!

Wir werden deshalb auch am kommenden Montag auf der Straße sein und dafür sorgen, dass rechte Trolle wie Marius Beyer auch in Engelsdorf nicht mehr ungestört bleiben. Schließt euch unserem Protest an – mit Abstand, Anstand und Maske. Für eine solidarische Stadtgesellschaft, die auch auch in Zeiten einer Pandemie laut sagt: Alerta Antifascista!

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Protest am 07. Februar 2022

Fahrrad-Anreise
17:00 Uhr
ab Augustusplatz nach Engelsdorf

Zuganreise
17:25 Uhr, Gleis 19, Hauptbahnhof Leipzig
oder Zustieg 17:40 Uhr ab Leipzig-Sellerhausen

Demo durch Engelsdorf
17:45 Uhr
P+R Engelsdorf (Ecke Hans-Weigel-Straße / Topasstraße)

Statement des Aktionsnetzwerks „Leipzig nimmt Platz“ zum heutigen Demonstrationsgeschehen

Das Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“ übt zum Verlauf des heutigen Demonstrationsgeschehens scharfe Kritik an den Behörden.

Erneut fand eine nicht angemeldete Versammlung von Seuchenbefürworter:innen statt. Dazu mobilisiert wurde insbesondere über den Kanal der rechtsradikalen Kleinstpartei „Freie Sachsen“ und über den Telegramkanal „Freies Deutschland/Sachsen“, der dem langjährigen NPD-Kader Volker Beiser zugeordnet wird. Im Vorfeld des Geschehens hatten Vertreter:innen des Aktionsnetzwerks „Leipzig nimmt Platz“
Versammlungsbehörde und Polizei explizit darauf hingewiesen. Ebenso auf den Umstand, dass mit der Teilnahme von weiteren organisierten und zum Teil gewaltbereiten Neonazis zu rechnen sein wird.

Bereits vor einer Woche war ein ähnlich gelagerter unangemeldeter Aufzug Richtung Universitätsklinikum gelaufen. Es kann daher nicht verwundern, wenn diesmal sogar eine Stürmung des Geländes erfolgte. Fraglich ist daher, warum die Polizei das Universitätsklinikum nicht stärker absicherte und damit den Durchbruch ermöglichte.

Außerdem ist es nicht nachvollziehbar, warum Versammlungsbehörde und Polizei nicht sofort klar eingeschritten sind und der Aufzug mit einigen hundert Menschen wild über Straßen, Wiesen und Schienen der Prager Straße sowie der Philipp-Rosenthal-Straße laufen konnte. Um es ganz klar zu kommunizieren, es geht uns nicht um ein Verbot einer Versammlung, sondern um das Umsetzen der für alle geltenden Gesetze. Wiederholt hat die Polizei das Treiben viele hundert Meter einfach begleitet und wenn,
dann nur den Gegenprotest gegängelt. Wenn den einzelnen Aussagen von Beamt:innen Glauben geschenkt werden soll, dann hielten sie sich für unterbesetzt, um den Aufzug gleich am Anfang zu stoppen.

Erst ein „Sturm“ eines Gebäudes des Uniklinikums, wo sich Patient:innen befanden, schien den Handlungsdruck zu erhöhen. Der sich kurz vorher eingefundene „Versammlungsleiter“ befand sich dann allerdings auch im Kessel des Hofes der Klinik. Wie wir alle sehen konnten, ging da gar
nichts friedlich und harmlos vonstatten. Wie lange soll dieses Märchen denn noch erzählt werden?
Als „Versammlungsleiter“ meldete sich der ehemalige Aufbauleiter der Republikaner im Osten, Reinhard Rade, der hörbar die anwesenden Polizeibeamten beleidigte und den ehemaligen Leiter der Polizeidirektion Leipzig als „Faschisten“ bezeichnete. Weiterhin befand sich mit Steffen
Thiel ein aktives Vorstandsmitglied der NPD in der Gruppe auf dem Klinikgelände. Hinzu kamen einschlägig bekannte Reichsbürger wie Dirk Reuter.

Während des Aufzugs dirigierte der langjährige NPD-Mann Volker Beiser den Aufzug. Sichtbar war auch, dass ein Teil der Teilnehmer:innen mit dem Fahrzeug anreiste und nicht aus Leipzig oder der näheren Umgebung kommt.

Es wundert auch nicht, dass das Völkerschlachtdenkmal auserkoren wurde, um von dort aus loszumarodieren. Für viele Neonazis und radikale Rechte ist Leipzig nach wie vor eine „Frontstadt“.

Es handelt sich daher mitnichten um Aufzüge von „Bürger:innen“ sondern im Wesentlichen um von Rechtsextremen geplante, durchgeführte und geleitete Demonstrationen. Gewalt wird dabei als Mittel eingeschlossen und in die Planung mit einbezogen.

Wir fordern von Polizei und Versammlungsbehörde eine klare Stellungnahme zu den sich wiederholenden Vorgängen. Und wir hoffen, dass spätestens jetzt alle verstanden haben, dass es nichts zu verharmlosen gibt. Spätestens nach diesem Sonnabend kann niemand mehr sagen, dass man es nicht gewusst habe, was geschieht.

Wir finden, dass es nach einer deutlichen Antwort der Zivilgesellschaft verlangt, und rufen zum kommenden Samstag auf, zahlreich auf die Straße zu kommen!

Marschiergang? Läuft nicht!

In den vergangenen Wochen und Monaten haben sich immer wieder Menschen versammelt, um gegen die Corona-Maßnahmen von Land und Bund zu demonstrieren. Diesen Menschen ging es dabei allerdings nie um eine solidarische Bewältigung dieser Gesundheitskrise oder um eine kritische Perspektive auf teils gravierende Grundrechtseingriffe, so wie beispielsweise wir als Aktionsnetzwerk diese immer wieder angeprangert haben.

Vom Frühjahr 2020 an wurden auf den sogenannten “Corona-Protesten” in Leipzig antisemitische Verschwörungserzählungen verbreitet, wahlweise Deutschland für besetzt erklärt – übrigens eine gängige Erzählung in der Reichsbürger-Bewegung – oder eben völlig problemlos gemeinsam mit Neonazis demonstriert. Dabei waren auch altbekannte Gesichter, die wir doch noch all zu gut von den LEGIDA-Protesten kannten. Diese als einfache bürgerliche Proteste abzutun oder als unzufriedene Bürger*innen zu beschreiben, läuft völlig fehl. Hinter diesen Protesten standen und stehen rechte Akteur*innen, die teils schon lange Zeit unter verschiedensten Labels und zu unterschiedlichen Themen rechte Proteste organisiert haben.

Im mittlerweile fast dritten Jahr der Pandemie sehen wir uns einer nahezu durchgehend radikalisierten Szene gegenüber, die verschiedene gesellschaftliche Milieus verbindet. Diesen Gruppen ist gemein, dass sie ganz offensichtlich demokratische Prozesse und Strukturen ablehnen und teilweise offen Gewalt gegen andere Menschen anwenden oder zumindest tolerieren. Davon betroffen sind vor allem Journalist*innen und antifaschistisch Aktive. Die Polizei hat insbesondere in Sachsen diesen rechten Aufmärschen kaum etwas bis gar nichts entgegenzusetzen. Regelmäßig wurden aber Antifaschist*innen und solidarische Menschen mit Repression und fragwürdigen Ordnungswidrigkeitsmaßnahmen überzogen, wie zuletzt auch Medizin-Studierende in Dresden. Das ist für uns inakzeptabel.

Klare Kante gegen rechte Raumnahme!

Die verschiedenen Gruppen reichen von Esoteriker*innen und Impfgegner*innen, über Verschwörungsgläubige und Antisemit*innen bis hin zu gewaltbereiten rechten Kampfsportlern und Nazi-Hooligans. Wir werden uns den neuerlichen Versuchen rechter Raumnahme und den Aufmärschen auch weiterhin entschieden entgegensetzen!

Für den kommenden Montag ruft die rechts orchestrierte Szene in Leipzig und dem Umland erneut zu Marschiergängen auf. Unser antifaschistischer Einsatz ist erneut gefragt. Dabei wollen wir an die Erfolge der vergangenen Wochen anknüpfen. Schließt euch unserem vielfältigen Protest an: Marschiergang? Läuft nicht!

Versammlungen am 31. Januar 2022:

18:00 Uhr Augustusplatz (Glocke der Demokratie) Kundgebung
dort auch Treffen zur gemeinsamen S-Bahn Anreise nach Markkleeberg

17:30 Uhr Gohlis-Arkaden, Kundgebung „Solidarität statt Egoismus“

17:45 Uhr, Könneritzstraße 22, Kundgebung “Rote Linien nicht überschreiten – gemeinsam durch den Corona-Frust mit Maske und Abstand”

18:00 Uhr Connewitz Kreuz, Raddemo nach Markkleeberg

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Aufruf Marschiergang läuft nicht_31.01.2022

Völki hört die Signale – Aale zum letzten Gefecht.

Endlich ungestört besorgt sein dürfen, ist das gängige Leitmotiv der sogenannten „Spaziergänger“, die sich in einer Diktatur wähnen. Man möchte nur die eigenen „Sorgen“ gelten lassen und sie, in eindimensionaler Sichtweise als „berechtigt“ empfunden, öffentlich zum Ausdruck bringen. Rechte oder Rechtsradikale kennt man selber, trotz einschlägiger rassistischer und menschenverachtender Vorurteile, die man allerdings selber nicht reflektiert, auch nicht. Deswegen kann es in der Selbstdarstellung auch keine geben.

Die „Freien Sachsen“ hält man für einen seriösen Informationskanal und obwohl man selber bekennend nicht „antisemitisch“ sein will und auch keinen kennt, der etwas gegen „Juden“ hat, weiß man ganz genau, dass „Gates“, „Soros“ oder die „Rothschilds“ bzw. irgendwelche Eliten, gesteuert von der „Pharmaindustrie“, ursächlich schuld sind. Schlecht versteckter Antisemitismus trifft auf Rechtspopulismus und stellt sich Seite an Seite mit Rechtsextremen.

Der in Deutschland eifrig eingeübte Satz: Ich habe nichts gegen „X-Y“, weil man sogar jemanden aus besagter Menschengruppe kenne, wird sofort ergänzt mit dem entlarvenden „Aber“. Um dann seinen ganzen geistigen Unrat ohne Skrupel oder Scham abzukippen, geht die Floskel mit der Konjunktion flott über die Lippen. Man weiß sich halt zu benehmen in Deutschland.

Von Kritik an solchen Einstellungen und der Offenlegung der antisemitischen Codizes und einer menschenverachtenden Gesinnung, mit der man sich zum Steigbügelhalter jener macht, die von einer nationalen Revolution und einem autoritären System träumen, fühlt man sich gekränkt und zu Unrecht in eine rechte Ecke gestellt.

Kritik ist eben nicht erwünscht. Von staatlicher Seite wird man dann auch gerne mit unverdient nachsichtiger Aufmerksamkeit bedacht und vom Innenminister schon mal mit „Verständnis“ beschenkt. Übrigens der gleiche Innenminister, der schon beim Anblick einer umgefallenen Mülltonne im „Drachenhort der Antifa – Connewitz“ einen neuen Terrorismus, mindestens jedoch die neue Generation der „RAF“, am Werk sieht und trotzig schweigt, wenn die ihm unterstellten Beamt:innen vom selbst ernannten Volk gebissen, getreten, geschlagen werden. Im besten Fall kommt auch der Ministerpräsident mit Stollen zum fröhlichen Handshake mit Rechtsradikalen vorbei bekundet stolz, wie Bolle, dass er es immer wieder so machen würde.

Über diese Art von Verständnis dürfen sich allerdings nur einige freuen. Linke, Klimaschützer:innen, Gentrifizierungsgegner:innen oder gar nicht kapitalismushörige Menschen werden dagegen pauschal als „Linksextremisten“ verfolgt.
Es kann daher nicht verwundern, wenn sich das selbst ernannte Volk, nun auch am nationalen Phallussymbol – dem Völkerschlachtdenkmal – trifft, wie es vor Jahren auch, und so immer wieder, seine geistigen Vorväter die Neonazis von NPD und Co. inszenierten.
Und ebenso wenig kann es wundern, dass die Polizei dem Treiben gebannt zuschaut, während der aufkommende Protest kriminalisiert wird und Minderjährige wegen des Tragens einer Maske in Pandemiezeiten sich dem Vorwurf der Vermummung gegenübersehen.

Nein, das ist kein Paralleluniversum, dass ist die realgewordene sächsische Dystopie. Wir schweigen nicht, wir dulden nicht und wir tolerieren auch nicht. Wir erinnern daran, dass Zähne zeigt, wer das Maul aufmacht. Das „Volk“ will zum Völki und wir werden es daran erinnern, was Kritik bedeuten kann.

Übersicht zum Protest am 24. Januar 2022

Fahrrad-Anreise
17:30 Uhr
ab Connewitzer Kreuz

Gemeinsam aus der Pandemie – Gegenprotest von DIE LINKE. Leipzig Südwest
ab 17:45 Uhr
Könneritzstraße 22/ Schleußig

Völki hört die Signale – AALE zum letzten Gefecht!
ab 18:00 Uhr
Völkerschlachtdenkmal

Haltung zeigen. Leipzig! – Protest der Stiftung Friedliche Revolution und von “Aufruf 2019”
18:00 Uhr
Augustusplatz/ Demokratieglocke

Solidarität statt Verschwörungsmythen – Protest von Kleinzschocher wird bunt
18:30 Uhr
Adler/Kleinzschocher

Das Ende der Geduld

Das Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“ hat zuletzt nicht zu eigenen Versammlungen aufgerufen, aus Respekt vor der möglichen Virusausbreitung und in Solidarität mit allen, die eine Erkrankung schwer treffen.

Die derzeitigen Einschränkungen der Versammlungsfreiheit lehnten und lehnen wir, wie auch schon ausführlicher in vielen Texten geschrieben, ab und halten auch die derzeitigen Regelungen für überzogen. Gleichwohl wollten wir in der Krise unseren Beitrag dafür leisten, dass das Pflegepersonal in den Krankenhäusern nicht noch weiter durch eine ansteigende Inzidenz belastet wird und weitere Menschen in Gefahr einer ernsthaften Erkrankung kommen.

Wir folgten dabei der Annahme, dass der Freistaat die aufgestellten Regelungen umsetzen würde. Diese Annahme war bereits von Anfang gewagt und hat sich als Fehler erwiesen. Festzustellen ist, dass sich Montag für Montag in sächsischen Gemeinden und Städten Menschen zu sogenannten Corona-Spaziergängen zusammenfinden und kein Problem haben, Seit an Seit mit Rechten und Neonazis zu laufen und den Aufrufen der rechten Kleinstpartei „Freie Sachsen“ zu folgen.

Während anfänglich in Leipzig die Situation noch relativ ruhig blieb und die sogenannten Spaziergänge in der Innenstadt keine Sichtbarkeit entfalten konnten, so hat sich die Situation jetzt geändert. Am vergangenen Montag konnten bis zu 200 Personen, darunter auch viele Rechte, begleitet von der Polizei, durch die Innenstadt ziehen, während Personen, die dagegen demonstrierten, mehrfach kontrolliert und mit Platzverweisen versehen wurden.

Das stellenweise Nichtagieren der Polizeikräfte, dass von der Führung in Dresden ausdrücklich unterstützt wird, vermittelt den sogenannten Spaziergänger:innen eine Wirkmächtigkeit, die sie zu weiteren Aktionen motivieren wird.

Es ist für uns nicht länger hinnehmbar, dass es von der politischen Gesinnung von Personen oder Gruppen abhängt, ob Corona-Schutzregeln für diese gelten oder nicht. Gesetzesbrüche von Corona-Leugner:innen werden in Sachsen nicht nur toleriert, Nein, führende Politiker:innen äußern sogar ausdrücklich Verständnis dafür. Einen anderen Teil, welcher von der Polizei politisch links gelesen wird, überziehen die Behörden aber sehr gerne mit zum Teil sinnwidrigen Verfahren.

Wir behaupten nicht, dass alle sogenannten Spaziergänger:innen „Nazis“ oder „Rechte“ wären. Tatsächlich trifft sich dort eine nach wie vor heterogene Mischung, die alle das ungefähre Gefühl einer Ablehnung der Corona-Maßnahmen eint. Allerdings werden Hintergründe und Zusammenhänge der Versammlungen, das Agieren der „Freien Sachsen“, welche die Spaziergänge „orchestrieren“ und deren Inhalte auch bei der „Bewegung Leipzig“ geteilt werden, durch die Teilnehmenden ausgeblendet und durch die eigene verzerrte Wahrnehmung ersetzt. Weil man selbst keine Rechten gesehen habe und die Freien Sachsen nicht kenne, kann es auch keine Rechten bei den „Spaziergängen“ geben und man findet sich völlig zu Unrecht als „Nazi“ bezeichnet. Verantwortung für das eigene Handeln will man nicht übernehmen.

Hinter dem Ansinnen der rechten Kräfte steht nichts weiter als das Ziel eine vorrevolutionäre Situation heraufzubeschwören, um das „System“ zu beseitigen. Die „ahnungslosen Spaziergänger:innen“, gefangen im deutschen Narrativ zwischen „nichts wissen wollen“ und „nichts gewusst haben“; machen sich damit zu den nützlichen „Idioten“ der organisierten Rechten, die nichts sehnlicher wollen als einen Bürgerkrieg im Sinne einer „nationalen Wiedergeburt“.

All das ist bekannt. Seit Jahren und unablässig weisen viele Aktive und auch Wissenschaftler:innen daraufhin, ohne dass es zu einem erkennbaren Handeln bei den Sicherheitsbehörden führen würde.
Die Gefahr ist, dass die Spaziergänge weiter anwachsen, die Teilnehmer:innen sich weiter radikalisieren und entsprechend handeln, dass es aufgrund der Radikalisierung Opfer geben wird, ist mithin keine Frage mehr des Ob sondern des Wann.

Nach dem Fackelmarsch vor dem Wohnhaus der Gesundheitsministerin, der für einen landesweiten Aufschrei gesorgt hatte, hat ausgerechnet der sächsische Innenminister, der sonst keine Gelegenheit auslässt, Verständnis für Corona-Demonstrant:innen zu äußern und zivilgesellschaftliche Bündnisse zu kriminalisieren, nach der Zivilgesellschaft gerufen.

Es ist an dieser Stelle wichtig darauf hinzuweisen, dass die Entgrenzung nicht allein der Fackelmarsch war, sondern im Winter 2020/21 auch Corona-Demonstrant:innen vor dem Wohnhaus des Ministerpräsidenten auftauchten und von diesem dafür mit einer exklusiven Gesprächseinladung geadelt wurden. Das Verhalten der Sicherheitsbehörden muss konsequent gedacht, als Einladung verstanden werden, zusammen mit der seltsamen ambivalenten Haltung der Landesregierung, die jeder sich radikal zeigenden Minderheit, so lange sie nur rechts ist, einen Sprachraum gewährt.

Wir können und wollen dabei nicht schweigend zusehen, wenn bei den Spaziergängen Rechte, Reichsbürger:innen und Hooligans Seite an Seite mit Bürger:innen, die nichts gesehen und wahrgenommen haben wollen, durch die Stadt ziehen. Wenn die Sicherheitsbehörden nicht bereit sind, das Treiben zu stoppen, wir sind es.

Auch unter den Einschränkungen der Corona-Notfall-Verordnung rufen wir dazu auf, sich – mit Maske und dem gebotenen Abstand – gegen diese teils offen rechte Mobilisierung zu stellen und deutlich zu machen, dass in Leipzig kein Platz ist für Verschwörungsmythen, Wissenschaftsleugnung, Antisemitismus und Menschenverachtung.

Die Zivilgesellschaft wurde gerufen und sie wird jetzt antworten.

Das Ende der Geduld.
Aufmarsch von rechten Demokratiefeind*innen verhinden

Montag, 10.01.2022
ab 17:30 Uhr
Leipziger Innenstadt

Kein Ring für Querdenken. Der Dank geht an die Zivilgesellschaft.

Das Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“ zieht zum gestrigen Demonstrationsgeschehen eine gemischte Bilanz und dankt vor allem allen Menschen, die sich an den zahlreichen Protesten gegen Querdenken, Nazis und anderes rechtes Sammelsurium beteiligt haben.

Dazu erklärt Irena Rudolph-Kokot für das Aktionsnetzwerk: “Ein Ziel wurde erreicht – Querdenken lief nicht auf dem Ring. Unser Dank gilt allen Netzwerkpartner:innen und natürlich allen Menschen, die gestern aktiv auf der Straße waren und den Pandemietreiber:innen, Nazis und Co. das Ziel, 2020 zu wiederholen, verhagelt haben. Die Leipziger Zivilgesellschaft funktioniert und der aktive Antifaschismus ist ein stabiler und verlässlicher Teil.“

Jürgen Kasek, Anwalt des Netzwerkes und Stadtrat ergänzt: „Die Polizei hat aus ihren Fehlern gelernt. Wie es allerdings dazu kommen konnte, dass zwischenzeitlich Querdenker in der Innenstadt randalieren konnten, muss aufgearbeitet werden. Auch eine Identitätsfeststellung einer Gruppe von Gegendemonstranten, wegen Verstoß gegen das Uniformverbot, weil diese schwarze Oberbekleidung trugen, durch Berliner Beamte, war nicht nachvollziehbar. Kritik, auch am staatlichen Handeln, ist gerade in einer Demokratie notwendig und trägt im positiven Fall zu Verbesserungen bei.“

Paula Piechotta, MdB Bündnis 90/Die Grünen führt aus: “Angesichts der aktuellen Corona-Situation war der erneute Versuch der Querdenker:innen und Rechten, nach Leipzig zu mobilisieren und dort die Corona-Auflagen bewusst zu verletzen, eine erneute potentielle Gefährdung für die Gesundheit der Menschen in Leipzig. Es ist aber gut zu sehen, dass Querdenken im Vergleich zu 2020 nur einen Bruchteil der Menschen mobilisieren konnte. Auch nach gestern muss man aber festhalten, dass die Polizei nicht zu jedem Zeitpunkt die Situation unter Kontrolle hatte und es leider mehrmals zu direkten, teilweise gewalttätigen Auseinandersetzungen kommen konnte. Ein großer Dank geht an die vielen Menschen, die gestern mit ihrem friedlichen Gegenprotest dafür gesorgt haben, dass die Vertreter_innen von Wissenschaftsfeindlichkeit, rechter Ideologie und Fake Facts nicht über den Leipziger Ring laufen konnten.”

Milan Swarowsky stellt für die Jusos Leipzig klar: „Wir sind mal wieder entsetzt über die schlechte Polizeitaktik. Querdenker:innen und Nazis wurden ohne Not in die Innenstadt gelassen und konnten zum Großteil nur durch antifaschistischen Protest gestoppt werden. Diese sächsischen Verhältnisse sind unerträglich, wir können uns nur wieder einmal fragen: Wann tritt Herr Wöller endlich zurück?“

Marco Böhme, MdL Die Linke und gestern als parlamentarischer Beobachter unterwegs, kritisiert: „Statt den verbotenen Querdenkenmarsch zu stoppen, scheuchte u. a. die Polizei in der Innenstadt den Gegenprotest aggressiv weg. Die Leerdenker:innen konnten so weiter ungehindert laufen. Nicht nur heute frag ich mich, was ist bloß los in diesem “Frei”Staat?! Rechts lässt man gewähren, Links wird schikaniert und bekämpft. Es ist zum Verzweifeln! Und letztlich genau der berechtigte Grund, für das schlechte Bild Sachsens in der Republik und die enormen Infektionszahlen hierzulande. Hier muss es endlich Konsequenzen geben!“

Pressemitteilung: Leipzig, 07.11.2021

Keine Nazis auf dem Ring – Querdenkenbewegung? Läuft nicht!

Am 06.11.2021 rufen abermals Querdenker*innen und mit Ihnen Neonazis und Hooligans dazu auf, nach Leipzig zu kommen. Bundesweit möchte man an die Ereignisse des vorherigen Jahres erinnern. Als zehntausende Querdenker*innen, sich von Neonazis und Hooligans den Weg freischlagen ließen und man über den Leipziger Ring marschierte, in der Vorstellung, dass man damit die nächste „friedliche Revolution”einläute.

War es vor einem Jahr eine große heterogene Bewegung, stellt sich die Situation inzwischen anders dar. Die Bewegung hat sich spürbar radikalisiert und ist kleiner geworden. Die Gefahr, die allerdings von ihr ausgeht, ist mit ihrer Radikalisierung größer geworden. Erinnert sei nur an die Bluttat an einer Tankstelle, als ein Mann den Tankwart aus Wut über die Maskenpflicht erschoss und dies damit begründete, dass er „ein Zeichen setzen” wolle.

Corona, Pandemie?

Hatte sich die Querdenkenbewegung ursprünglich als Kritik an den Coronamaßnahmen verstanden, hat sich auch dieser Eindruck geändert. „Corona“ ist nur das Schlagwort, mit dem man die ganze Ablehnung kommuniziert und damit Projektionsfläche für alles „Störende” in der Welt. Die Erzählung, dass man “fremdgesteuert sei“, von finsteren Mächten „regiert“, was nahtlos in strukturellen Antisemitismus mündet, ist nur ein Punkt.

Die Narrative gleichen sich. Egal ob es 2014 der sog. Friedenswinter war, dessen radikale Teile dann in PEGIDA/ LEGIDA aufgingen oder nunmehr die Querdenker*innen. Man bereitet systematisch Neonazis, die man nicht ausschließen will, da jedwede Kritik „Spaltung“ sei, den Boden im „Widerstand“ gegen das System.

Damit beteiligen sich die Querdenkerinnen an Überlegungen einer völkischen Revolte mit der Zielstellung der Errichtung einer „neuen nationalen Autorität“. Es ging nie um eine Kritik der Maßnahmen, es geht um ein beliebiges Objekt, über das man seine Ablehnung der pluralen Demokratie und Verschwörungen transportieren kann.

Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Coronapolitik der Regierung ist so nicht möglich.

Ganz Rechts!

So austauschbar wie die Motive der Bewegung sind, so hoch ist ihre Anschlussfähigkeit nach rechts außen. Zu Beginn gab es zumindest halbherzige Versuche, sich von Neonazis abzugrenzen. Doch Kritik an der Bewegung wird als „Spaltung“ verstanden. Und weder „Rechts noch Links” zu sein, schafft sich eine Begründung, um Hand in Hand mit Antisemiten, Reichsbürgern und Neonazis von der Revolution zu träumen.

Betrachtet man die Social-Media-Kanäle der Bewegung, stellt man nicht nur die Radikalisierung fest, denn Gewaltfantasien und Drohungen gegen Gegner sind allgegenwärtig, sondern man stellt auch fest, dass viele Inhalte entweder direkt aus rechtsradikalen Kanälen stammen oder durch diese unterstützt werden.

Dass in Sachsen die Corona-Proteste mehrheitlich von den rechtsradikalen „Freien Sachsen“ dominiert werden und in Leipzig beim lokalen Ableger ein langjähriger NPD-Funktionär an der Spitze steht und ganz offiziell die JN/ NPD dort redet, verdeutlicht die Nähe der Corona-Proteste zur rechten Gesinnung.

Verfassungsschutz und Polizei -Dein Freund und Helfer?

Obwohl es nicht an Warnungen mangelte, zeigten sich sowohl Polizei als auch Verfassungsschutz 2020 überfordert, als am 07.11.2020 in Leipzig hunderte Neonazis und Hooligans die Polizeiketten durchbrachen und Querdenken so den Ring frei schlugen. Konkrete Erkenntnisse konnte man nicht sammeln, obwohl sowohl Neonazis als auch Querdenker*innen in ihren Kanälen ganz öffentlich ihre Ziele und Treffpunkt verkündet hatten.

Es ist Aufgabe der Zivilgesellschaft, Standpunkte deutlich zu machen und Widerspruch zu leisten.

Daher ist es an uns zu verhindern, dass sich der 07.11.2020 wiederholt.

Mythos Ring.

Eine Vereinnahmung der demokratischen Traditionen des “Wendeherbstes” durch die rechten Coronaleugner*innen weisen wir zurück. Damals wie heute gilt, dass der Leipziger Innenstadtring kein Platz für Nazis ist oder Menschen, die ihre gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit hinter der Erzählung, dass man das Volk sei, zu verstecken versuchen.

Richtig ist, dass insbesondere in der Spätphase der historischen Montagsdemos Neonazis im braunen Block über den Ring liefen. Es gab zu viele, die sie gewähren ließen und sich im nationalen Taumel der Wiedervereinigung nicht mit der Gefahr auseinandersetzen wollten.

Es darf sich nicht wiederholen. Es ist an uns, die Versuche der Rechten, sich als „Wir sind das Volk“ zu generieren, ein für allemal zu beenden.

Wir rufen am 6. November auf, sich klar gegen Faschistinnen und Faschisten und rechtsradikale Gesinnung jeder Couleur zu positionieren. Wir rufen alle Bürgerinnen und Bürger zu entschlossenem, friedlichem Protest auf. Wir dulden in unserer Stadt keine Neonazis und weisen die Vereinnahmung der demokratischen Tradition des „Wendeherbstes“ durch rechte Coronaleugner*innen zurück.

Versammlungsfreiheit gilt in Leipzig – nur für Nazis?!

Versammlungsbehörde und Polizei gehen massiv gegen Sitzprotest in Leipzig vor. Obwohl solche Demonstrationen vom Grundrecht auf Versammlungsfreiheit gedeckt sind, hat die Polizei am 16. August 2021 mehrere Sitzversammlungen unter Anwendung von unmittelbarem Zwang unterbunden und damit in rechtsstaatlich bedenklicher Weise den legitimen Protest verhindert. Das versammlungsfeindliche Verhalten von Versammlungsbehörde und Polizei ist seit einigen Wochen immer wieder montags zu beobachten.

Die Behörde hat gegenüber „Leipzig nimmt Platz“ erklärt, dass sie Sitzversammlungen nicht mehr nach dem Einzelfall prüfen werde, sondern ggf. Versammlungen in jedem Fall auflösen und Menschen, die daran teilnehmen, anzeigen werde. Diese Ankündigung ist ein Skandal, da jedes Verwaltungshandeln immer die Umstände des Einzelfalls berücksichtigen muss. Eine Ankündigung, Versammlungen pauschal aufzulösen und Protest zu kriminalisieren, ist klar rechtswidrig.

Überdies stellt eine aktuelle Studie zu den Auswirkungen der verfassungsfeindlichen Pegida in Dresden bzw. Legida in Leipzig konsequenten Protest gegen völkische Aufmärsche als geeignetes Mittel dar, auch überregional zu zeigen, dass die lokale Bevölkerung mit solchen Bestrebungen nicht einverstanden ist. [1] Anders als in Dresden ist Legida schon seit 2017 in Leipzig nicht mehr aktiv, was direkt auf die im Aktionsnetzwerk koordinierten Gegendemonstrationen zurückzuführen ist.

Aktuell wird gegen die selbst ernannte „Bürgerbewegung Leipzig 2021“ protestiert, welche unter Führung eines ehemaligen NPD-Kaders montags über den Innenstadtring marschiert und damit versucht, an Legida anzuknüpfen. [2] Es handelt sich um eine Personengruppe von etwa 60 Menschen, für die mit einem Riesenaufwand der Innenstadtring gesperrt und freigeräumt wird. Auch am vergangenen Montag war dies wieder der Fall.

Hierzu erklärt Irena Rudolph-Kokot für das Aktionsnetzwerk: „Die Versammlungsbehörde der Stadt Leipzig rollt Montag für Montag der rechten Melange aus Reichsbürger:innen, Nazis, Impfgegner:innen und Verschwörungsmythiker:innen den roten Teppich aus und verhindert alle angezeigten Proteste. Sie überlässt ausschließlich der BBL den Ring als Versammlungsfläche. Selbst unsere vorab angezeigte Versammlung auf einem winzigen Stück des Martin-Luther-Rings wurde dem rechten Treiben geopfert. Eine Berücksichtigung unserer Versammlungsfreiheit fand durch die Behörde überhaupt nicht statt. Das ist skandalös und Herr Rosenthal als zuständiger Ordnungsbürgermeister sollte sich langsam fragen, ob es ein Problem mit rechtem Gedankengut in seiner Behörde geben könnte.“

Marcus Röder vom Verein „Say it loud“ ergänzt: „Die Vertreter:innen der Versammlungsbehörde sind offenbar noch nicht einmal in der Lage, ihre Aufgabe zu erfüllen und die faktischen Verbote der Proteste vor Ort fachlich sauber zu begründen. Vor Ort wurde mitgeteilt: ‚Versammlungen lassen wir nicht zu‘, ohne Begründung und rechtliche Aufklärung der Folgen. Auch ist der Versammlungsbehörde offensichtlich nicht bekannt, dass sie eine bestehende Versammlung gar nicht ‚zulassen‘, sondern ggf. nur auflösen kann. Den auffälligen Mangel an Fachwissen im Bereich des Verwaltungsrechts und das einseitig repressive Vorgehen der Behörden beobachten wir seit Wochen. Das Aktionsnetzwerk wird jetzt angemessen reagieren und den Widerspruchs- und Klageweg beschreiten.“

„Das Aktionsnetzwerk ruft für kommenden Montag dazu auf, gegen die Entscheidungen der Versammlungsbehörde und das Agieren der Polizei zu demonstrieren. Leipzig darf nicht Sachsen werden!“, so Jürgen Kasek für „Leipzig nimmt Platz“ abschließend.

Pressemitteilung: 18. August 2021


Quellen:

[1] Brox, Enzo / Krieger, Tommy: »Dresden: Rechte Proteste verschrecken junge Leute!«, ifo Institut, ifo Dresden berichtet, 2021, 28, Nr. 4, 12-17

[2] Eine „Bürgerbewegung Leipzig“ versuchte schon Anfang 2017 eine Neuauflage der Demonstrationen von Legida.