Die Welt ist zu komplex für das Heilsversprechen einer Volksgemeinschaft

die welt ist…

Aufruf zur Demonstration am 4. April 2016

Einfache Fragen, unterkomplexe Antworten

In einer Welt, die zunehmend an Komplexität gewinnt, nehmen Übersichtlichkeit und Erklärbarkeit immer weiter ab.

Die Kriege der Gegenwart finden jeden Tag in den heimischen Wohnzimmern statt. Durch Nachrichten­portale und soziale Medien ist das Meinungsmonopol der klassischen Medien aufgebrochen worden. Unzäh­lige Bilder, Informationen und Bewertungen sind ständig und für alle verfügbar. Dabei wird die Macht der Bilder mit Meldungen über Kriege, Terror und Katastrophen als Mittel der hybriden Kriegsführung benutzt. Längst sind auch die globalen Migrations­bewegungen Teil einer geradezu propagandistischen Auseinandersetzung nicht nur in Deutschland gewor­den.

Der Prozess der Globalisierung verändert die Welt stetig und rasant. Das Erbe der Kolonialisierung wurde fortgesetzt, die Kluft zwischen Arm und Reich wird internationalisiert. Der grenzenlose Raubtier­kapitalismus hat die Staaten erpressbar gemacht. Menschen sind in dieser neoliberalen Logik nur noch Humankapital, das beliebig verwertet werden kann. Es geht nicht darum, Wohlstand für alle zu schaffen, sondern den Reichtum Einiger noch weiter zu vergrößern. Die Idee einer „sozialen Marktwirtschaft“ hat endgültig ausgedient, und längst stellt die Ideologie des immerwährenden Wachstums einen neuen Totalitarismus dar. Damit einhergehend werden die natürlichen Lebensgrundlagen in zunehmenden Maße ausgebeutet. All dies geschieht global, heizt fort­während bestehende Konflikte an und schafft die Grundlage für neue.

Auch demokratische Prozesse sind zunehmend komplexer geworden. Die Demokratie, deren Kern notwendigerweise das Suchen nach Kompromissen ist, ist in eine Legitimationskrise geraten. Eine Politik, die als ihr einziges Argument scheinbar alternativlose Sachzwänge in tausendfacher Redundanz reprodu­ziert, wird unglaubwürdig. Angesichts des offensichtlich übergroßen Wohlstands, der Steuererleichterungen für Großunternehmen oder der Milliardeninvestitionen in die Rüstungsindustrie – im Gegensatz zu anhaltenden Beschneidungen bei sozialen und kulturellen Leistungen – werden die Menschen unempfänglich und stumpfen ab. Die Möglichkeiten, sich am demokra­tischen Prozess zu beteiligen, werden als unzu­reichend oder ineffektiv wahrgenommen. Was folgt, ist häufig Resignation oder die völlige Abkehr von jeglicher Mitwirkung am demokratischen Prozess. Die Postdemokratie, in der demokratische Willensbil­dungen abhängig wird vom Wohl und Wehe der Oligopole, ist keine kommende Katastrophe, sondern bereits gegenwärtig.

Die Volksgemeinschaft ist nicht die Antwort

In dieser zunehmenden Unübersichtlichkeit steigt die Sehnsucht der Menschen nach Halt und nach einfachen Antworten. Das Zeitalter des Populismus ist angebrochen.

In Langzeitstudien hat Wilhelm Heitmeyer nachge­wiesen, dass wirtschaftliche Unsicherheit zur Zunahme von Symptomen gruppenbezogener Menschenfeind­lichkeit führt. Diese ist, kurz gesagt, der Zusammen­schluss von Menschen gegen andere, denen sie einen niedrigeren sozialen Status zuschreiben und äußert sich beispielsweise in einem sachsen-, deutschland- und auch europaweit als legitime Meinung zelebrierten Rassismus und daraus hervorgehender Gewalt gegen all jene, die nicht als Teil der ausgerufenen „Volks­gemeinschaft“ wahrgenommen werden.

Einfache Antworten, Gruppenzuschreibungen bis hin zu Feindbildern, wie sie Rechtspopulist_innen europa­weit zum Allheilmittel deklarieren, werden zum Maß­stab der politischen Auseinandersetzung. Gegen die Herausforderung der Moderne wird das Modell einer Volksgemeinschaft gesetzt. „Das Volk“ – was auch immer das angesichts historischer Wanderungsströme sei –, gilt als identitätsstiftendes Subjekt, das einzig und allein eine Antwort auf die rasanten Verände­rungen bietet. In diesem Modell wird ausgeklammert, dass zum Beispiel Kultur als eine der notwendigen Grundlagen einer Gemeinschaft von Menschen nicht statisch, sondern dynamisch und damit dem Wandel unterworfen ist.

„Das Volk“ ist eine Konstruktion – eine Konstruktion, die auf die Notwendigkeit von Grenzen setzt und Menschen entlang ihrer Herkunft teilt.

Nationalismus führt zu neuen Kriegen

Eng mit dieser Aufwertung des „Volkes“ verbunden ist der Begriff der Nation, der erst in der Neuzeit entstanden ist. Nationen, beziehungsweise ihre natio­nalstaatlichen Grenzen, sind durch den Verlauf von militärischen Auseinandersetzungen gezogen worden. Wer Nationalismus sagt, sagt auch Volksgemeinschaft und meint damit die Abwertung aller, die nicht Teil davon sind. Anders formuliert kann kein Nationalist sein und muss die Volksgemeinschaft negieren, wer der Meinung ist, dass Kriege der Schlüssel allen Übels seien.

Das Sinnstiftende an den Begriffen Volksgemeinschaft und Nation ist, sich abzugrenzen und unter den Bedingungen kapitalistischer Verwertungslogik diskrimi­nierende Vergleiche zu ziehen. Die völkisch-nationalis­tische Ideologie funktioniert nicht ohne die Abwertung von als nicht dazugehörig wahrgenommener Menschen und impliziert letzten Endes ethnoplura­listischen Rein­heitswahn bis hin zu Macht- und Vernichtungsfantasien.

Verschwörungstheorien und die GIDAs

Am Wirken der GIDAs wird genau diese Konstruktion der völkischen Identität deutlich. „Die Anderen“ und damit alle, die nicht in das Weltbild der GIDAs passen, werden als Problem, als Sündenbock abgewertet oder gar zu Täter_innen und damit nicht nur Auszuschlie­ßenden, sondern als zu Ächtende deklariert.

Sowohl die entstehende Abwertung als auch die erschaffenen Feindbilder schaffen die Grundlage einer sich selbst bestätigenden, selbstreferentiell wirkenden Gruppenidentität, die das „Andere“ ebenso wie das „Feindliche“ für die Konstruktion der eigenen Identität benötigt. Die Identität dieser Volksgemeinschaft besteht dabei sowohl im einzig Zufriedenheit bringenden Allheilmittel als auch in einer konstruierten Opferrolle, die den Zusammenhalt der Gruppe stärkt, Abgrenzung schafft und vor allem betont, dass ihre Überwindung nur durch ein weiteres Erstarken des „Volkes“ und damit einhergehender Ausgrenzung und Abwertung der „Anderen“ gelingen kann. Diese „Anderen“, die nicht dem identitären Wahnwitz zugehörigen, sind beliebig ausgewählt und unspezifisch beschrieben, werden im Sinne des Ausschlusses jedoch immer als „fremdartige“ Einheit dargestellt – eine Darstellung, die Täter-Opfer-Konstruktionen untermauert.

In der Logik der generellen Feindschaft gegen die Moderne und ihre Zumutungen greifen Verschwörungs­theorien Raum. Zu diesen Verschwörungstheorien gehört beispielsweise die des „Hooton Plan“, der von der nicht vorhandenen Souveränität Deutschlands ausgeht und sich über eine geheime Weltregierung über die „zionistischen Finanzelite Amerikas“ bis hin zur absurden These zieht, dass Geflüchtete gezielt nach Deutschland geschickt würden, um die Bevölkerung auszutauschen. Die aberwitzigsten Verschwörungs­theorien werden eingesetzt, solange sie Erklärungs­ansätze bieten und bei der Konstruktion einer Volks­gemeinschaft assistieren, die sich im steten, durch Notwehr bedingten Abwehrkampf gegen die Moderne befindet.

In der GIDA-Bewegung Aufwind findend, existierten diese Verschwörungstheorien allerdings schon zuvor. Sie bedienen sich zu einem großen Teil einer Täter-Opfer-Deklaration, durch die sich ein roter Faden zieht: der Antisemitismus. Bereits in den 60-er Jahren fanden Holocaustleugner_innen wie Ursula Haverbeck Gehör, deren gezielt und strategisch gesetzte Inhalte Grundlage der heutigen neuen Rechten bilden. So machen Geschichtsrevisionist_innen salonfähig, was nach wie vor Straftat ist, vollführen Tabubrüche und verschieben ideologische Grenzen.

Die Phrasen von „zionistischen Eliten“, von der „Holocaustlüge“ und weitere Ausbrüche antisemitischer Verschwörungsideologie schüren ein Feindbild, durch dessen intellektuell wie verschwörerisch dargestellte Kommunikation sowohl eine plakative Abgrenzung vom Nationalsozialismus als auch die Bestärkung der eigenen Opferrolle erreicht werden sollen. Mit jeder Verklärung und Verharmlosung des Nationalsozialismus wird das eigene Belogenwerden ebenso propagiert wie das Streben nach völkischer Erweckung. Widerspruch wird dabei nicht zugelassen, sondern durch die propagierte „Steuerung durch die Eliten“ als Bestä­tigung der eigenen Verschwörungstheorie und weitere Vertiefung des Opferdaseins instrumentalisiert.

Gegen Krieg, gegen Nationalismus, gegen die Volksgemeinschaft

Umso nötiger ist es, nicht selbst in subkomplexe Erklärungsmuster zu verfallen und das Gegenüber zur Konstruktion des eigenen Selbst anzunehmen. Was es braucht, um gegen Unübersichtlichkeit und Ohnmachts­gefühle zu bestehen, ist nicht die Konstruktion einer neuen Massenidentität oder die Bildung einer Querfront, die meint, der gemeinsame Gegner „da oben“ sei die notwendige Grundlage, um gegen die Zumutungen des Kapitalismus bestehen zu können. Einer komplexen Welt kann ebenso wenig mit einfachen Antworten begegnet werden, wie mit plumper Gruppenbildung oder konstruierten Feindbildern.

Wer Querfront sagt, meint Volksgemeinschaft und schafft damit die Grundlage für Abwertung. Wer Querfront sagt, meint Diskriminierung. Wer Querfront sagt, meint Krieg!

Nötig ist das Erkennen der eigenen Ressentiments und die konstruktive Auseinandersetzung mit den Fragen der Gegenwart. Nötig ist eine offene und pluralistische Gesellschaft, die sich diesen Fragen stellt.

Wir rufen daher alle Menschen gemeinsam und in Verschiedenheit auf, mit uns zusammen am 4. April auf die Straße zu gehen und den völkischen Querfront­strategen von LEGIDA und Co. in den erhobenen rechten Arm
zu fallen.

Leipzig, den 23. März 2016


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